Es begann mit Mariko Mishiro, einer Studentin aus Japan. Die junge Musikethnologin wollte in ihrer Abschlussarbeit zu Klezmer forschen und erfuhr von einer Sammlung handschriftlicher Noten, die in der ukrainischen Wernadskyj-Nationalbibliothek in Kiew lag und kaum zugänglich war.
Doch eine ukrainische Freundin Mishiros erhielt mit viel Glück die Genehmigung, hochaufgelöste Fotografien zu machen. Das war 2017. Niemand hätte damals geahnt, dass Kiew heute umkämpft sein würde. Womöglich konnten die Handschriften durch die Fotografien für die Zukunft gerettet werden.
Die Akkordeonistin Christina Crowder vom Klezmerinstitut leitet das Projekt. Für den 12. Mai organisiert sie ein zwölfstündiges Benefizkonzert für Menschen in der Ukraine, denen sie – auch durch das Projekt – verbunden ist.
Transkription und Digitalisierung
Das international angelegte Digitalisierungsprojekt sei während der Pandemie sehr gut ins Rollen gekommen, sagt Christina Crowder. Viele Musikerinnen und Musiker, die keine Auftrittsmöglichkeiten mehr hatten, konnten sich vernetzen und gemeinsam an etwas arbeiten: an der Transkription und Digitalisierung der Noten.
Crowder sieht in dem Material einen riesigen Schatz, ein Erbe für heutige Klezmorim, wie man die Klezmer-Musikschaffenden nennt. «Sie sind die direkten Nachfahren der Klezmorim damals», sagt Crowder, «nicht durch Geburt, sondern durch ihre Leidenschaft für die Musik».
Musik für alle
Diese Leidenschaft für die Musik teilt auch Judith Beckschäfer. Begeistert von einem Konzert entstaubte sie vor einigen Jahren ihre alte Klarinette, suchte sich einen Lehrer und begann zu spielen. Sie reduzierte ihren Job im Personalbereich, begann Musikwissenschaften und Jüdische Studien an der Universität Basel zu studieren.
Mit dem Verein «KlezWeCan» organisiert sie Workshops und eine monatliche Session der Open Klezmer Kapelye in Basel. Der Anlass ist offen für alle: Einsteiger, Wiedereinsteigerinnen und Fortgeschrittene. Alle sind willkommen, auch jedes Instrument.
Musizieren für den Frieden
Die wiederentdeckten Noten mit bisher unbekannten Klezmermelodien kämen auch den Workshops zugute. «Es ist ein Knaller», sagt Judith Beckschäfer: «Als hätte man zwei weitere Beethovensymphonien entdeckt.» Das Repertoire habe sich durch die Wiederentdeckung der Noten um ein Vielfaches erweitert.
Wenn sie heute mit ihrer Kapelye Stücke aus der heutigen Ukraine spielt, «dann tun wir das ganz bewusst, weil wir uns der Wurzeln bewusst sind». Ihre Hoffnung ist, «dass über diese Musik weiterhin Menschen verschiedener Hintergründe friedlich miteinander verbunden sind.»