«Meine Familie ist der Grund, warum ich so bin wie ich bin. Meine Familie war ein einziger langer Song», sagt Billie Eilish am Anfang von R.J Cutlers Dokumentarfilm «The World's a Little Blurry».
Eins wird schnell klar in diesem zweieinhalbstündigen Film-Porträt, das auf AppleTV+ zu sehen ist: Das Projekt Billie Eilish ist ein Familienunternehmen.
Ihre Eltern kennen sich aus im Showbusiness. Die Mutter ist Drehbuchautorin und Musikerin, der Vater arbeitet auf dem Bau und nebenbei als Schauspieler.
Die Eltern haben Billie Eilish den Weg bereitet, sie unterrichtet in Songwriting, Klavier und Ukulele und sie früh an Talentshows geschickt.
Weltschmerz der Generation Z
Um zu verstehen, was für eine grossartige Musikerin Billie Eilish ist, muss man einen ihrer Hits hören. «Bury a Friend» zum Beispiel ist kein 08/15 Popsong.
Minimalistische Elektronik, zusammengebaut aus verschiedenen Soundschnipseln, dazu ihre charakteristische Stimme, hauchig, verletzlich und so intim. Sie singt vom Monster unter ihrem Bett und davon, dass man sich oft selbst der grösste Feind ist.
Ich bin ein Nobody, ich weiss nicht warum ihr mich mögt, wirklich nicht.
Billie Eilish's Songs sprechen über Ängste, Selbstzweifel und andere Teenagergefühle. Und dann ist da diese Superstar-Persönlichkeit. Mal wirkt sie abgebrüht, mal albern, mal rotzig, mal schüchtern, in ihrem Selbstbild so bodenständig wie möglich.
Auf einem Konzert, so zeigt «The World's a Little Blurry», sagt sie vor tausenden Fans: «Ich bin ein Nobody, ich weiss nicht, warum ihr mich mögt, wirklich nicht. Aber ich liebe euch!»
Der Alltag eines Popstars
«The World's a Little Blurry» kommt mit nur wenigen klassischen Interviews aus und integriert Smartphonevideos, die Billie Eilish und ihre Familie selbst gedreht haben.
So bin ich als Zuschauerin bei den wirklich wichtigen Momenten ganz nah dran: Etwa als sie ihren Song «Ocean Eyes» zum ersten Mal im Radio hört. Als sie auf Tour einmal rund um die Welt reist.
Oder zurück in der Küche des Elternhauses in Los Angeles ist, wo ihre Mutter Ratschläge gibt fürs neue Album: «Für die letzten paar Songs die dir noch fehlen, kannst du ruhig mal probieren etwas zu schreiben, was du zwar noch magst, was aber etwas konventioneller und zugänglicher ist.»
Ich schreibe nicht für alle, die Songs müssen mir etwas bedeuten
Billie versteht nicht, was «zugängliche Musik» heissen soll: «Ich schreibe nicht für alle, die Songs müssen mir etwas bedeuten». Und so gern sie ihre Songs singe, den Entstehungsprozess empfindet sie als Qual.
Wohl auch deswegen ginge das nie ohne ihren Bruder Finneas O’Connell. Das Songwriting passiert in kreativer Symbiose: Er produziert am Laptop die Sounds, sie sitzt im Schneidersitz auf dem Bett, singt und textet.
The Show must go on
«The World's a Little Blurry» ist das Märchen «Pop-Star Overnight», erzählt aber auch von den Zwängen des Ruhms und des Musikbusiness.
In Mailand muss Billie ein Konzert zu Ende spielen, obwohl sie sich den Knöchel gebrochen hat. Und bei einem Meet and Greet mit Labelchefs und Musikjournalisten wird sie von lauter älteren Männern zugetextet.
Billie Eilish muss immer funktionieren – als Performerin und als Projektionsfläche. Damit sie funktioniert, weichen ihre Eltern nie von ihrer Seite und ein riesiges Team wuselt um sie herum.
Und doch suggeriert der Film, dass Billie Eilish die Fäden weitestgehend in der Hand hat. Ob das nun stimmt oder nicht – auf dieser Selbstbestimmtheit und Authentizität baut ihre Kraft als Role Model.
Und genau die hebt sich ab von Produkten wie den Spice Girls oder Britney Spears, die meine Teenagerzeit geprägt haben. Sie sahen aus wie Models, waren immer gut gelaunt und so weit weg von meinen Sorgen.
Ich hätte mir jemanden wie Billie Eilish gewünscht, die als guter Kumpel und kluger Kopf ermutigt zu sich selbst und seinen Gefühlen zu stehen. Ich hätte mich wohl weniger einsam gefühlt.