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Einzelne Tasten eines Klaviers auf einem Tisch ausgelegt.
Legende: Neue Musik gibt es schon lange, doch heute ist sie so vielfältig wie noch nie. Reuters

Neue Musik Ein radikaler Stil entfaltet sein Potential

Eine neue Generation von Musikern erfindet und erprobt die Möglichkeiten der Neuen Musik. Es darf gestritten werden.

Die «Neue Musik» hatte es einst schwer. Arnold Schönberg erfand Anfang des 20. Jahrhunderts die Zwölftontechnik. Er brach radikal mit den Hörgewohnheiten seiner Zeitgenossen.

Damit setzte er einen Trend, der in der Mitte des 20. Jahrhunderts einen Höhepunkt hatte. Für die breite Hörerschaft war die Neue Musik zu ungewohnt und unverständlich. Kontakt zwischen den Komponisten und einem breiten Publikum gab es praktisch nicht mehr.

Vom Elfenbeinturm hinaus in die Welt

Die Neue Musik war in der obersten Etage des Elfenbeinturms angekommen. Dort ist sie aber nicht mehr. Wo ist sie hin?

Heute ist die Szene der Neuen Musik so vielfältig wie nie. Was wohl auch ein Trend ist: Es gibt eben keinen wirklichen Trend und die Heterogenität fächert weiter auf.

Unterdessen findet man fast in jedem Konzert Elektronik und Live-Elektronik. Kaum eine Komposition kommt ohne diese Erweiterungen aus. Aber darüber hinaus franst die Neue Musik an ihren Rändern zunehmend aus und geht Verbindungen mit anderen Genres ein: Performance, Video, Rock.

Hier liegt ein fruchtbares Potenzial: Es darf wieder gestritten werden. Die alten Dogmen haben sich ohnehin längst aufgelöst. Der Diskurs ist vollkommen offen geworden. Mehr denn je ist alles im Fluss, werden unterschiedlichste ästhetische Positionen untersucht, durchgespielt, entworfen, verworfen.

Neue Musik

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Arnold Schönberg erfand Anfang des 20. Jahrhunderts die Zwölftontechnik: Alle 12 chromatischen Töne einer Oktave sind dabei in einer Reihe vorsortiert. Mitte des 20. Jahrhunderts entstand die sogenannte «seriellen Technik»: Neben Tonreihenfolge sind da auch Lautstärke, Dauer und Klangfarbe festgelegt. Konsonanz und Dissonanz wurden gleichwertig.

Jetzt kommen die Jungen

Dazu kommt ein zweiter Punkt: Die jüngere Generation ist daran, alles noch einmal auf den Prüfstand zu stellen, also auch die längstens etablierten Institutionen der Neuen Musik (wie die spezialisierten Ensembles).

Diese Generation sucht neue Verknüpfungen. Diese Suche nach neuen Mischformen hat viele Perspektiven geöffnet. Das mag zum Beispiel eine neue Art von Teamwork sein.

Manche Komponisten empfinden sich als Teil eines grösseren Kollektivs. Sie verabschieden sich vom Komponieren im emphatischen Sinn. Sie erproben im Verbund mit Dramaturgie, Video, Elektronik, Licht, Performance lieber den schnellen Eingriff ins Hier und Jetzt.

Die Lust am Kombinieren

Das künstlerische Ergebnis fordert dann auch keine Haltbarkeit mehr ein, sondern verschwindet bald wieder. Es mögen andererseits neue Konzertformen wie Installationen sein.

Ob Stücke im Fortissimo, ob sphärische Tonwolken oder Raumklang: Nichts ist ganz neu, alles haben wir schon einmal irgendwo gehört. Aber die Lust an den Kombinationen nimmt spürbar zu.

Die Schwester des Dilettantismus

Der Stilpluralismus ist das Gebot der Stunde. Das heisst auch: Es besteht die Gefahr, den Fokus nicht zu finden. Damit besteht auch die Gefahr eines gewissen Dilettantismus: Zu viel zu wollen auf zu vielen Gebieten, auf denen man (noch) nicht firm ist.

Als klassischer Komponist für eine Rockband zu komponieren, muss geübt werden. Und umgekehrt. Aber der Dilettantismus hat eine schöne Schwester, nämlich die kindliche Lust am Spielen. Sie hat zurzeit viele Auftritte. Und die Neue Musik schreibt sich heute wohl nicht mehr mit grossem, sondern mit kleinem n: einfach – neu.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 15. Februar 2017, 9 Uhr.

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