Sir Simon Rattle erhält den Siemens Musikpreis Preis. Eine gute Wahl. Rattle ist eine Institution, einer der besten und begehrtesten Dirigenten unserer Zeit.
Er ist vor allem ein optimistischer und begeisternder Mensch, kommunikativ und grosszügig. Dafür lieben ihn seine Musizierenden und geben alles. Aber – und das ist vielleicht besonders wichtig – der Preis ehrt nicht nur seine Arbeit als Chefdirigent von Spitzenorchestern, sondern auch seine Projekte für Nachhaltigkeit.
Klassik als Softskill-Spender
Ein ganz besonderes und weit beachtetes Projekt war schon vor zwanzig Jahren der Dokumentarfilm «Rhythm is it». Mit den Berliner Philharmonikern und 250 Schülerinnen und Schülern sogenannter Problemschulen erarbeitete Rattle Igor Strawinskys Ballet «Le sacre du printemps». Es ist faszinierend zu sehen, welchen Weg die Jugendlichen zurücklegen: erst gelangweilt und voller Bedenken, wachsen sie und entwickeln Selbstbewusstsein.
Es war eines von vielen Projekten nach dem Motto: Klassik ist auch nützlich. Weil wir in Zukunft keine Arbeitsbienen brauchen, sondern kreative, teamfähige Menschen, die über den Tellerrand hinausschauen. Mit Musik kann man das lernen, davon ist Rattle überzeugt.
25 Jahre alt war Simon Rattle, als er das City-of-Birmingham Symphony Orchestra übernahm und aus einem Provinzorchester einen Edel-Klangkörper formte.
Dann war er 15 Jahre Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, ging anschliessend zum London Symphony Orchestra und seit letzter Saison ist er in München Chef beim Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks.
Rattles Einsatz für Kulturpolitik
Zum Beispiel hat er das Repertoire in Richtung zeitgenössische Musik erweitert oder mit Strawinskys «Sacre du Printemps» oder Bernd Alois Zimmermanns «Soldaten» interdisziplinäre Projekte angestossen. Dann rief er bei den Berliner Philharmonikern ein Education-Programm ins Leben oder gründete die «Digital Concert Hall», um ein breiteres Publikum zu erreichen.
Seit Jahren setzt er sich für staatliche Kultur-Investitionen ein, damals in London trotz der Unsicherheiten des Brexits, oder jetzt in München mit dem neuen Konzertsaal, dessen Bau immer wieder verschoben wird. Und schliesslich: viele preisgekrönte Aufnahmen hat er gemacht, Beethoven-, Brahms- und Mahlerzyklen.
Lust auf Neues
Interessant an Simon Rattle ist nicht, dass er ein Leuchtturm ist. Sondern, dass er seit Jahrzehnten einer ist. Und zwar ein experimentierfreudiger.
So hat er sich auch immer wieder mit der historisch informierten Aufführungspraxis auseinandergesetzt, interessiert sich seitdem für kleinere Besetzungen, schnellere Tempi und eine klare Artikulation – allesamt Kennzeichen der historischen Aufführungspraxis. Diese Elemente integriert er in seine Interpretationen, wo sie musikalisch sinnvoll sind, stilistisch fundiert und klanglich reichhaltig.