So hervorragend die Interimspielstätte des Orchesters in der Tonhalle Maag war, so technisch ausgeklügelt und erstaunlich gut die Akustik im Holzbox-Provisorium, so cool der Industrial-Touch der alten Zahnradfabrik – an die akustische Qualität des altehrwürdigen und jetzt frisch renovierten Tonhalle-Saals am See kam die Maag nie ganz heran.
Akustik für den noblen Glanz
Zurück im Grossen Tonhalle-Saal am See ist das klangliche Gesamtbild homogener. Selbst wenn das Hausorchester unter Partituranweisungen «grob» oder «mit furchtbarer Gewalt» spielt, schmerzen die Ohren nicht.
Die Töne finden noch besser zueinander, die Akustik schmeichelt insbesondere dem Streicherklang und verleiht dem Blech einen noblen Glanz.
Auch dem Vergleich mit dem modernen, höhlenartigen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg hält die Zürcher Tonhalle stand. Zwar bietet auch der Hamburger Saal eine hervorragende Akustik, allerdings in seiner Trennschärfe eine eher analytisch-erzieherische. Der Zürcher Tonhalle-Saal entfaltet eine wärmere, vielleicht sogar edlere Wirkung.
Riesensinfonie zum Auftakt
Für einmal stand bei dieser Saaleröffnung nicht wie sooft die 9. von Beethoven, sondern die 3. von Gustav Mahler auf dem Programm. Sie ist fast vom gleichen «Baujahr» wie die Tonhalle selbst.
Mit der Sinfonie demonstrieren der Dirigent und das Orchester nicht nur ihre eigenen klanglichen Qualitäten, sondern auch die des Saals. Zu den fast restlos besetzten Publikumsplätzen (dank Covid-Zertifikatspflicht) gesellte sich also ein Grossaufgebot auf der Bühne mit über 160 Musizierenden inklusive Frauen-, Knabenchor und Alt-Solistin.
Mehr als eineinhalb Stunden hatte das Publikum Zeit, im noblen Tonhalle-Sound zu baden. Mit der gewaltigen Sinfonie in d-Moll stellt der Komponist eine Art Schöpfungsgeschichte bis zum ergreifenden Abgesang über die Liebe musikalisch dar.
Er jagt Musizierende und Publikum durch eine Vielzahl an unterschiedlichsten Klangfarben und durch emotionale Extreme.
Zurück «zu Hause»
Das Orchester genoss es sichtlich, wieder «zu Hause», in so grosser Besetzung und vor vollem Saal aufzutreten und musizierte vom ersten bis zum letzten Ton mit Inbrunst. Der Funke sprang auch auf die Zuhörenden über. Sie erlebten eine differenzierte und überaus brillant gespielte Interpretation dieses labyrinthischen Werks.
Paavo Järvi hielt die Zügel beim Eröffnungskonzert mancherorts noch etwas gar kontrolliert, wodurch etwa der Kopfsatz mit seinen vielen als «drängend» bezeichneten Stellen noch etwas starr wirkte.
Gänsehaut-Momente
Mehr Schwung und gerade bei Mahler auch mehr Schmäh könnte sich aber bald einstellen, je länger sich alle in dem neuen-alten Saal eingespielt, eingehört und eingelebt haben. Das Alt-Solo von Wiebke Lehmkuhl wirkte im Ausdruck noch etwas verhalten. Vitaler klangen dagegen die kurzen Einsätze der Damen der Zürcher Sing-Akademie und der Zürcher Sängerknaben.
Für so manchen Gänsehaut-Moment sorgten die diversen Instrumental-Soli, wie das hervorragend gelungene grosse Posthorn-Solo im 3. Satz – einer der berührendsten Momente des Abends:
Wie von Mahler gefordert erklang das Solo «in weiter Ferne», nämlich aus dem ebenfalls renovierten Foyer der Tonhalle, gespielt vom Solo-Trompeter Heinz Saurer. Auch hier spielte der Saal nochmals mit all seinen akustischen Trümpfen bestechend mit.