So zwitschert der Pianist des 21. Jahrhunderts: «Das hier ist der erste Post vom Musikfestival Heidelberger Frühling. Ab morgen werde ich euch eine Woche zuballern mit Aufnahmen von Proben, Streitereien, Gesprächen, Auseinandersetzungen, Diskussionen und vielem mehr. Ich freue ich auf euer Feedback.»
Vernetzt, online, politisch. Igor Levit äussert sich längst nicht nur als Pianist. Sondern als streitbarer Twitterer und rasender Reporter seines eigenen Kammermusikfestivals, des Heidelberger Frühlings.
Die Mutter als Lehrerin
Im Kern ist Levit natürlich Pianist. Wie viel «Natürlichkeit» oder angeborenes Talent hierbei drin steckt, kann nur Geheimnis bleiben. Fakt ist, dass Levit in ein für ihn günstiges Musik-Biotop hineingeboren wurde.
1987 im russischen Nischni Nowgorod: Die Mutter ist Korrepetitorin am dortigen Opernhaus und für den damals Dreijährigen die erste Lehrerin. Mit vier gibt Levit sein erstes Konzert. Er ist noch keine 30, als das Fernsehen einen 45-minütigen Dokumentarfilm über ihn ausstrahlt.
Hochbegabt mit hübschem Hochdeutsch
In Hannover, wo die Familie mit dem achtjährigen Sohn zieht, lernt Igor nicht nur sein gesanglich schönes Hochdeutsch, sondern bekommt Unterricht am neu gegründeten Institut zur Frühförderung musikalisch Hochbegabter der dortigen Hochschule für Musik. Seinen Abschluss macht er mit der höchsten Punktzahl mit Beethovens Diabelli-Variationen.
Die grossen Variationszyklen von Beethoven, Bach und dem amerikanischen Komponisten Frédéric Rzewski dokumentiert Levit 2015 auf CD: ein Gedankenkosmos sondergleichen.
Besonders bei Beethoven bleiben die Töne einem beim Hören im Kopf hängen. Warum? Levit verachtet die blosse Texttreue. «Was in den Noten steht, ist nur ein Teil dessen, was sich der Komponist gedacht hat», sagt er. Und bringt den Hörern Beethoven wesentlich näher, als viele andere Pianisten es vermöchten.
Pianist, Bürger, Europäer
Gleichzeitig steht – bei solcher Art des Spiels – auch der gestaltende Musiker stärker im Vordergrund. Gestalten, sich äussern, kommentieren. Das ist Levits Stärke. Sei es als Pianist, oder «als Bürger, Europäer», wie er sich auf seinem Twitter-Konto selbst bezeichnet.
Auf diesem liest man etwa herausfordernde Kommentare zu Trump, ...
... Bissiges zur AfD-Politikerin Frauke Petri, ...
... aber auch witzige Äusserungen eines hochtalentierten Musikers, der von sich sagt, «er wäre gerne Henri Mancini», der Komponist der «Pink Panther»-Filmmusik.
Twitter-Kürzestmeldungen und 50-minütige Variationszyklen schliessen einander nicht aus. Witz, Esprit, eine souveräne Denkhaltung und menschliche Tiefe – sie machen Igor Levit aus, den Pianisten des 21. Jahrhunderts. Feedback willkommen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Passage, 21.04.2017, 20:00 Uhr