Der Netflix-Hit «The Serpent» basiert auf wahren Begebenheiten: Im Südostasien der 1970er-Jahre finanziert sich Charles Sobhraj sein Leben mit dem Betrug und Mord von Hippies, die Lokalbehörden schauen machtlos zu.
Es ist eine düstere Geschichte mit Suchtpotenzial – auch wegen der Musik. Ein Schweizer hat sie komponiert: Dominik Scherrer.
Lieber Serienmusik statt Filmmusik
Seit über 30 Jahren lebt und arbeitet der 54-Jährige in London. Es zieht ihn in den 1980er-Jahren in die britische Metropole, weil es in der Schweiz damals noch keine Möglichkeit gibt, um Filmmusik zu studieren.
Serien sind für Scherrer schliesslich die Eintrittskarte ins Business: Seit er 2004 die sechs Staffeln von «Miss Marple» mit Musik ausgestattet hat, bleiben die Aufträge nicht aus. 2014 bekommt er für seinen Soundtrack zu «Ripper Street» zum ersten Mal den Ivor Novello Award verliehen, die wichtigste britische Auszeichnung für Songwriter und Komponisten. Mit «The Serpent» (2021) landet der Komponist seinen bis dato grössten Erfolg.
Scherrer kennt sich im Serien-Bereich bestens aus und zieht diese auch einem Spielfilm vor: «In acht Stunden kann man in viel grösseren Spannungsbögen denken, musikalische Themen weiterentwickeln oder zurückbringen, mit einem grandiosen Finale. Das ist dann ein bisschen wie Richard Wagners ‹Götterdämmerung›», so Scherrer.
International gefragte Musikschaffende
Neben Scherrer gibt es noch andere Schweizer im Filmmusikgeschäft: Der Basler Niki Reiser hat unter anderem die Musik zum oscarprämierten Film «Nirgendwo in Afrika» (2002) komponiert. Fatima Dunn hat sich in der Schweiz einen Namen als Dokumentarfilmkomponistin gemacht.
Sandra Stadler und Bänz Isler wurden mehrfach nominiert und ausgezeichnet für ihre Musik zu «Der Bär in mir» (2019). Und auch die Newcomerin Sandrine Rudaz, die mittlerweile in Los Angeles lebt, könnte eine steile internationale Karriere vor sich haben.
Viele Schweizer Filmmusikschaffende sind also international gefragt, hierzulande würde sich auf der Strasse aber wohl kaum jemand nach ihnen umdrehen, sagt Nora Baldenweg vom Trio «Diego Baldenweg mit Nora Baldenweg & Lionel Baldenweg» aus Zürich.
Gemeinsam mit ihren Brüdern hat sie unter anderem die Soundtracks zu «Die letzte Pointe» (2017), «Die kleine Hexe» (2018), «Zwingli» (2019) oder zur Netflix-Serie «The Unlisted» (2019) komponiert und weiss: «Als Filmkomponistin ist man ein Teamplayer. Man arbeitet im Hintergrund und steht nicht vor der Kamera. Aber man ist natürlich mit der musikalischen Sprache ein Hauptdarsteller.»
Die Schweiz hat Nachholbedarf
Und das inzwischen längst nicht mehr nur im Kinosaal. Die Filmmusik steht sogar im klassischen Konzert auf dem Programm, es gibt Studiengänge in diesem Bereich, und auch im Radio werden Soundtracks mehr und mehr gespielt. Nur: Wer die Filmmusik kennt, kennt noch lange nicht die Komponistinnen und Komponisten, die sie geschrieben haben.
Darum gibt es in der Schweiz die Swiss Media Composers Association SMECA, den Berufsverband der Schweizer Medien-Komponisten. Trotzdem bleibt die Sichtbarkeit Schweizer Filmmusikschaffender immer noch klein, bestätigt Lionel Baldenweg: «Europaweit gehört die Schweiz als Produktionsland zur Spitze. Deshalb gibt es hier auch einen Markt. Aber sind das Filme, die eine internationale Karriere machen oder bleiben sie in unserem Kosmos?»
Sie hätten sich selbst geholfen und sich internationalisiert, doch für viele andere Schweizer Filmmusikschaffende gäbe es Nachholbedarf: «Die Branche könnte sich noch verbessern», sagt Lionel Baldenweg. Und Bruder Diego ergänzt: «Vom Talent her können sich Schweizer Filmmusikkomponistinnen und -komponisten auf jeden Fall mit Hollywoodgrössen messen. Aber Talent ist nicht das einzige, was zählt. Wie man die Leute vermarktet, ist eine neue Nische, die weiterentwickelt werden darf.»