Kein Mensch kennt alles, was Frank Sinatra je gesungen hat. Erstens sind es etwa 1300 Lieder, die er auf Platte aufgenommen hat, viele davon in unterschiedlichen Versionen. Und zweitens kann die Frage bei «The Voice» Frank Sinatra nie sein: «Gefällt dir Frank Sinatra?». Das setzen wir voraus. Die Frage ist also: «Welcher Sinatra ist dir der liebste?»
Von schnulzig bis swingend
Ist es der Schmusesänger der frühen Jahre, der die Mädchen zum Kreischen brachte? Der «klassische» Sinatra, der zusammen mit Arrangeuren wie Nelson Riddle für die Plattenfirma Capitol Jahrhundert-Alben realisiert hat? Der swingende Sinatra, bei dem selbst eine Band wie diejenige von Count Basie Gas geben musste? Oder der Hit-Sänger, der mit «My Way» das ultimative Beerdigungs-Stück und mit «New York, New York» den Soundtrack einer Stadt geliefert hat?
Hier sind zehn Titel, die gleichwertig stehen und chronologisch geordnet sind:
10 ultimative Sinatra-Songs
I’ve Got You Under My Skin (Songs for Swingin’ Lovers!, 1956)
Für viele Frank Sinatra-Aficionados ist dies der ultimative Track, die beste Aufnahme, die Sinatra je gemacht hat. Das liegt zum einen am Arrangement von Nelson Riddle. Er verpackt den grossartigen Song von Cole Porter brillant, die Bassklarinetten-Einleitung bringt einen direkt ins Lied. Und der Bogen, den Riddle schafft, ist schlicht perfekt. Und darüber diese Stimme! Gibt es jemanden, der das besser singen könnte?
Old Devil Moon (Songs for Swingin’ Lovers!, 1956)
Das Album «Songs for Swingin’ Lovers!» ist ein Wurf. Und es war ein Riesenerfolg. Während Wochen war die Platte in den Charts, und auch heute gehört sie in jede gut assortierte Plattensammlung. Der Song «Old Devil Moon» erzählt von einem, der vor lauter Liebe und Mond, Nacht und Schönheit in seinen Armen quasi besoffen ist. Und Nelson Riddle lässt seine Band so klingen, dass auch uns recht schön schwindlig wird.
One for my Baby (Sings for Only the Lonely, 1958)
Man hat immer davon gesprochen, dass Frank Sinatra seine musikalischen Geschichten nicht einem Saal voller Leute erzählt, sondern sie jedem und (vor allem) jeder einzelnen ins Ohr flüstert. Am schönsten macht er das in «One for My Baby And One for the Road». Man muss sich eine Bar weit nach Mitternacht vorstellen, mit nur noch wenigen späten Gästen. Er klagt sein Leid dem Bartender, der ihn bedient. Begleitet nur von einem ebenso einsamen Klavier.
Angel Eyes (Sings for Only the Lonely, 1958)
«Angel Eyes» ist eine weitere Perle aus dem Balladen-Album «Frank Sinatra Sings for Only the Lonely», mit zwölf Songs – alle zum Heulen schön. Frank Sinatra hat vorgeführt, wie eine Ballade zu singen ist. Und es waren die grossen Musiker, die darauf hinwiesen, dass sie diese Kunst bei ihm gelernt haben. Lester Young, einer der grössten Saxophonisten aller Zeiten, meinte, er würde nie eine Ballade spielen, ohne den Text zu kennen. Und in seinem inneren Ohr höre er sie von Sinatra gesungen.
Come Dance with Me (Come Dance with Me, 1959)
Wie funktioniert Swing? Frank Sinatra führt es in diesem Track exemplarisch vor. Er weiss immer, was sein Plan ist, wohin er die Silben setzen will, wo eine kleine Pause nötig ist, wie er Spannung erzeugen kann. Nie gibt es die kleinste Unsicherheit, und gleichwohl klingt alles wie eben erst erfunden, – entspannt, lässig und nonchalant. Wer schafft es, die Füsse ruhig zu halten bei dieser Musik? Wer möchte nicht mittanzen?
Just One of Those Things (Live in Australia, 1959)
Frank Sinatra arbeitete am liebsten im Aufnahmestudio, er war ein unerbittlicher Perfektionist. Und es heisst, dass er von gewissen Songs unzählige Takes aufgenommen habe, bis er zufrieden war. Gleichwohl war er ein begnadeter Entertainer, ein Bühnentier, einer, der mit Leichtigkeit tausend Leute bei Laune halten konnte. Die Aufnahmen, die 1959 anlässlich einer Australientournee mit dem Vibraphonisten Red Norvo gemacht wurden, zeigen dies eindrücklich. Sinatra fliegt förmlich!
I’ve got a crush on you (Nice 'n' Easy, 1960)
Ein Song der Gershwin-Brothers George und Ira, Frank Sinatra hat ihn mehrfach gesungen. Auch dies ist eine Ballade, selbstverständlich ein Liebeslied, und Sinatras Stimme wird wunderbar eingebettet in einen opulenten Streicherteppich, den wieder einmal Nelson Riddle organisiert hat. Wunderbar! «Nice 'n' Easy» kommt das alles herüber, man könnte fast vergessen, dass dahinter die Arbeit eines Besessenen steckt.
It was a very good year (September of my Years, 1965)
«But now the days grow short, I'm in the autumn of the year», heisst es in der vierten Strophe von «It was a very good year». Das stimmt natürlich nicht, rein rechnerisch ist Frank Sinatra im Jahr 1965 im Hochsommer seines Lebens, und dieses ist entsprechend sommerlich angenehm. Aber wir alle kommen, wie er, eines Tages an diesen Punkt, wo die Vergangenheit grösser wird als die Zukunft. Und Sinatra gelingt es, die leise Wehmut beim Gedanken daran in Töne zu fassen. Berührend!
Come Fly with Me (at the Sands, 1966)
«The Sand is proud to present a wonderful new show!», deklamiert der Sprecher des Sands Hotel in Las Vegas ziemlich pathetisch – und dann geht die Post ab, dass einem Hören und Sehen vergeht. «Come fly with me» ist der erste Song dieser wunderbaren neuen Show. Sinatra und die Begleitband von Count Basie samt Arrangeur Quincy Jones präsentieren sich in Hochform, auch die Instrumentalsolisten – und nicht zuletzt das begeisterte Publikum. Und wir wollten, wir wären dabei gewesen.
New York, New York (Trilogy: Past-Present-Future, 1980)
1980 war Frank Sinatra nun wirklich im «September of his years», eigentlich im Pensionsalter. Was ihn allerdings nicht hinderte, nach wie vor aufzutreten und mit der Adaption der Titelmelodie des Films «New York, New York» einen späten Hit zu landen. Und nicht nur das: «New York, New York» wurde dank Sinatra zur Erkennungsmelodie des Big Apple, und das ist sie geblieben bis heute. Dass das Empire State Building 1998 bei Ol' Blue Eyes' Tod drei Tage lang in blaues Licht getaucht war, hat er wirklich verdient.