Rap und Hip-Hop sind fast untrennbar mit Vorstellungen von Gewalt verknüpft. Strassengangs, die einander aufs Übelste beschimpfen, die Gewalt gegen den Staat und die Polizei verherrlichen und Frauen erniedrigen: Das sind weit verbreitete Klischees über die Rap- und Hip-Hop-Szene.
Die Vorurteile kommen nicht von ungefähr: Inhalte, die in genau diese Richtung gehen, kann man aus vielen Rapsongs herauslesen.
Traditionell übertrieben
Und dennoch: Die Kulturwissenschaftlerin und Rap-Forscherin Ana Sobral von der Uni Zürich betont, damit habe man diese Songs nicht einmal ansatzweise verstanden: «Rap als etwas Barbarisches zu verstehen, das nicht zu unserer Leitkultur gehört, ist so eine falsche Einstellung!»
Man komme nicht darum herum, auf die Tradition zu schauen, aus der diese Musik kommt. «Da gibt es einerseits eine Tradition des spielerischen Umgangs mit Sprache. Dabei sind vor allem Übertreibungen wichtig: Wer im Rap-Battle am krassesten wirkt, gewinnt», sagt Ana Sobral.
Erfahrungen, die von Gewalt geprägt sind
«Auf der anderen Seite steht die konkrete Gewalterfahrung. Gewalt war schon immer Teil dieser Kultur, weil die Erfahrungen der afroamerikanischen Community in den USA zutiefst von Gewalt geprägt sind», so Sobral. Vor diesem Hintergrund sei es nicht erstaunlich, dass Gewalt in solchen Songs eine grosse Rolle spiele und manchmal übertrieben wirke.
Ein berühmter Song, der die Gewalterfahrungen der afroamerikanischen Community thematisiert, ist «Fuck tha Police» von der Gruppe N.W.A. Wegen seines provokanten Titels hat der Song Reaktionen vom damaligen US-Präsidenten George H. W. Bush und dem FBI ausgelöst: Sie verurteilten ihn als Aufruf zur Gewalt gegen die Polizei.
«Fuck tha Police» ist aktueller denn je
Für Ana Sobral ist das ziemlich ironisch: «Die haben diesen Song offensichtlich gar nicht richtig gehört und sich nur an der einen Zeile festgehalten. Im Rest des Songs geht es nämlich um Schwarze, die auf der Strasse Opfer von Polizeigewalt werden.» Darum habe der Song von 1988 auch nie an Aktualität verloren.
Im Mai 2020 wurde George Floyd von einem Polizisten getötet, der auf seinem Hals kniete. Das war der Auslöser der «Black Lives Matter»-Bewegung, und bei Kundgebungen lief fortan vermehrt «Fuck tha Police». Rap und Hip-Hop besitzen also ein gewaltiges Reflexionspotenzial für die Gesellschaft.
Während der Gangsta-Rap und seine Gewaltfantasien klar männlich konnotiert seien, gebe es Musikerinnen, die genau diese Genderklischees in ihren Performances unterlaufen, sagt Ana Sobral: «Rihanna vereinnahmt zum Beispiel in dem verstörenden Musikvideo zu ‹Bitch Better Have My Money› eine Rolle, die wir normalerweise mit einem Mann assoziieren.»
Sie rächt sich auf blutrünstige Weise an ihrem Buchhalter, indem sie seine Frau und ihn entführt und foltert. Das Video ist deswegen kein Meisterwerk des Feminismus. Aber es zeigt einmal mehr: Rap und Hip-Hop können gerade wegen ihrer Nähe zum Spiel mühelos bestehende Strukturen sprengen.
Weil es sich bei Rap-Texten um Sprachspielereien handelt, seien sie auch nie nur auf eine Weise zu verstehen, sagt Ana Sobral: «Da werden den Wörtern ganz bewusst zwei- oder auch dreifache Bedeutungen zugeschrieben. Genau das macht den Spass am Rap aus: Wir können nie ganz sicher sein, was jetzt gemeint war.»