Vorurteile über das Genre gibt es viele: Heavy Metal sei reine Männersache, der Soundtrack für brennende Kirchen und den Weltuntergang, der mit reichlich Bier begossen wird. Der Kunsthistoriker Jörg Scheller geht diesen Vorurteilen auf den (Ab-)Grund.
SRF: Über Heavy Metal kursieren viele Klischees. Gehen wir mal die Gängigsten durch. Zum Beispiel: «Heavy Metal ist nur Krach!»
Jörg Scheller: Das ist Quatsch. Wer das sagt, hat noch nie Heavy Metal gehört. Heavy Metal ist hochgradig strukturiert, Grundbaustein ist das Riff. Das Genre reizt die Möglichkeitsräume harter Rockmusik aus: Das Tempo ist hoch, es geht darum, in den Soli zu brillieren, infernalisch zu grunzen und zu schreien oder in einer Art Sirenengesang zu exzellieren – was technisch durchaus anspruchsvoll ist.
Wer sein Instrument nicht beherrscht, wird es in der Szene schwer haben. Trotzdem: Die Bandbreite zwischen Metalbands, die als Kritik bewusst primitiv sein wollen, und der Kunsthaftigkeit und Virtuosität des Heavy Metal, ist ziemlich gross.
Nächstes Klischee: «Heavy Metal ist Musik für Proleten, es wird gepöbelt und viel Bier gesoffen!»
Mit Pöbeleien qualifiziert man sich heute als Präsident der Vereinigten Staaten und ohne Bierkonsum bräche sofort die gesamte europäische Wirtschaft zusammen. Wer mit Konzertveranstaltern spricht, weiss: Metalfans sind ein vergleichsweise angenehmes Publikum.
Sie sind wirklich an der Musik interessiert, weniger gewaltbereit als Hip-Hopper und im Bierkonsum zumindest geübt. Ganz zu schweigen davon, dass alle in nordischer Philologie promoviert haben.
Was halten Sie von: «Metalfans tragen nur Schwarz und haben immer lange Haare!»
Von der studierten Architektin und dem Metzger über den christlichen Anwalt bis zur Kulturwissenschaftlerin gibt es glühende Metalfans, auch wenn äusserlich nichts darauf schliessen lässt. Denn sie haben auch kurze Haare, tragen bunte Klamotten oder Krawatte!
Aber wenn Metaller ein Konzert besuchen, kleiden sie sich normalerweise anständig, tragen ein Band-T-Shirt, eine Kutte oder Lederjacke. Es gibt eine Ziviltracht und eine Abendgarderobe, wie in der Oper auch.
«Heavy Metal ist Musik von alten Männern für alte Männer!» Wie sehen Sie das?
Erzählen Sie das mal der japanischen Band Babymetal (Babymetal auf Youtube). Solche Pauschalisierungen sind irreführend – je nach Kontext ist Metal mal Jugendkultur, mal Museum. Metal hat aber den Vorteil, nie wirklich jung gewesen zu sein – von Beginn an umgab ihn ein moderiges Zombie-Image. Damit empfiehlt er sich als Soundtrack des kommenden geriatrischen Zeitalters.
Ein anderes Klischee lautet: «Heavy Metal ist männlich und sexistisch.»
Es stimmt, dass mehr Männer als Frauen auf den Metalbühnen stehen, im Metal gibt es keine Madonna oder Beyoncé. Aber von Anfang an waren sie im Heavy Metal dabei. Doro Pesch ist eine Art Metalpäpstin (Doro Pesch auf Youtube). Und Sängerinnen wie Alissa White-Gluz von Arch Enemy haben den weiblichen Growl-Gesang revolutioniert (Alissa White-Gluz auf Youtube). Frauen werden im Heavy Metal nicht auf die klischeehaften Rollen festgelegt.
Im Metal muss man nicht brav und nett sein, sondern laut und unbequem. Deshalb ist das Genre für Frauen attraktiv!
Im Metal muss niemand lieb und brav und nett sein, sondern – im Gegenteil – laut und unbequem. Ich bin überzeugt, dass das Genre darum gerade für Frauen sehr attraktiv sein könnte. Ausserdem ist das Bild von Männlichkeit im Metal extrem widersprüchlich: Einerseits tragen die Kerle Kutten, Nieten und schwere Stiefel. Andererseits sind da die langen Haare, engen Hosen und hohen Schreie.
«Heavy Metal ist rassistisch und intolerant.» Was sagen Sie dazu?
Klassischer Heavy Metal ist zwar kulturkritisch, aber nicht politisch und offen für alle politischen Strömungen. Heavy Metal lässt sich nicht mit einer bestimmten politischen Ideologie identifizieren.
Asien ist seit Jahrzehnten ein Hotspot des Metal. In Taiwan sitzt Freddy Lim im Parlament, ein Black Metaller, der sich für die liberale Demokratie und Rechte der indigenen Bevölkerung stark macht (Freddy Lim auf Youtube).
Auch in Afrika wächst die Szene. Und übrigens spielten schon im frühen Metal der 1970er-Jahre schwarze Musiker, etwa bei Zoetrope in Chicago (Zoetrope auf Youtube). Um 1980 war in Cleveland die erste All-Afro-American Metal-Band aktiv. Selbstironisch gab sie sich den Namen Black Death (Black Death auf Youtube).
Metal ist auf einen zweiten Blick ziemlich divers. Man muss genau hinschauen, was Metal in welchem Kontext bedeutet.
Und last but not least: «Heavy Metal ist böse, satanistisch und gewaltverherrlichend.»
Metal ist nicht böse, satanistisch und gewaltverherrlichend, Metal thematisiert das Böse, Satanistische und Gewaltvolle. Heavy Metal drückt Emotionen aus, prangert Missstände an. Man operiert mit den grösstmöglichen Schreckenssymbolen, hält denjenigen, die Jesus vor sich hergetragen haben jetzt den Satan vor.
Natürlich können Metaller gewalttätig sein, wie alle anderen Bevölkerungsgruppen auch. Aber wie viele Diktatoren waren Metalfans? Wie viele Serienkiller spielten in Black-Metal-Bands? Liefern Sie belastbare Zahlen – dann reden wir weiter.
Das Gespräch führte Elisabeth Baureithel.