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Musik «Hope I Die Before I Get Old»: Gitarrist Pete Townshend wird 70

Rockrebell, Trinker, Instrumente-Zertrümmerer – und Visionär: Das ist Pete Townshend, der legendäre Gitarrist von The Who. Seine Rockoper «Tommy» bedeutete für ihn den Durchbruch. Mit seiner wichtigsten Idee jedoch ist er gescheitert.

Sie seien die Nummer drei in Sachen Rockmusik, heisst es: The Who. Hinter den Beatles und den Stones. Ob sich dies so einfach bestimmen lässt, ist schwer zu sagen. Sicher aber ist, dass The Who das Glück hatte, einen der bedeutendsten Künstler der Zeit in der Band zu haben: Pete Townshend. Am 19. Mai wird der Mann, der einst mit der Zeile «Hope I Die Before I Get Old» bekannt geworden ist, 70 Jahre alt.

Der Visionär hinter der Synthesizer-Spur

Laut, kraftvoll, aggressiv: So kennt man Pete Townshend in den Songs von The Who. Wie in «Won't Get Fooled Again», dem Flaggschiff unter den The-Who-Songs. Das Flaggschiff des Flaggschiffs sozusagen, denn auch «Who's Next», das Album, dessen Abschluss und Höhepunkt dieser Song darstellt, gilt als das The-Who-Album überhaupt.

Audio
Synthesizer-Spur von «Won’t Get Fooled Again»
00:59 min
abspielen. Laufzeit 59 Sekunden.

Ist es aber nicht. Genauso wenig, wie «Won't Get Fooled Again» Pete Townshends künstlerisches Vermächtnis ist. Aber ein Teil dieses Songs ist es durchaus: Der Hintergrund, die Synthesizer-Spur. Hinter ihr verbirgt sich nicht der Instrumente-Zertrümmerer, der Punk, der selbstzerstörerische Trinker, der aggressive Bühnenperformer Pete Townshend. Hinter dieser Spur steckt der eigentliche Pete Townshend, der Künstler und vor allem: der Visionär.

Durchbruch mit der Rockoper «Tommy»

Video
Michael Luisier über «Tommy»
Aus Kultur Extras vom 08.02.2014.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 14 Sekunden.

Blenden wir zurück. Nach einigen Hits Mitte der 1960er-Jahre – und nach einer längeren Durststrecke danach – gelingt Pete Townshend mit der Rockoper «Tommy» der endgültige Durchbruch. Ab jetzt gehört er zum kleinen Kreis der führenden Künstler der jungen Rockszene.

Aber jetzt ist er gefordert. Was kommt als nächstes? Und wie lässt sich der Meilenstein «Tommy» überbieten? Das jahrelange runterspulen alter Hits, wie das etwa die Stones machen, interessiert ihn nicht. Er will was Neues. Und er hat eine einzigartige Idee, die die Rockmusik nochmals auf eine ganz andere Ebene heben soll: Die Idee besteht in der Beziehung zwischen Künstler und Publikum.

Publikum als integraler Bestandteil der Musik

Townshend glaubt, dass Musik das ist, was im Moment des Liveauftritts zwischen Musikern und Zuhörern passiert. Er glaubt, dass nicht nur der Musiker Musik macht, sondern auch der Zuhörer. Und dass sich all diese Musiken miteinander verbinden lassen zu etwas Neuem und Grösseren – bis sich die Musik am Schluss auf einen Ton reduziert.

Ein junger Mann im schwarzen Anzug schlägt seine Gitarre auf einen rauchenden Verstärker.
Legende: Mehr als bloss Gitarren-Zertrümmerer: Pete Townshend an einem Konzert in London, 1967. Getty Images

Die Idee kriegt einen Namen: das «Lifehouse»-Projekt. The Who mietet für eine Woche das Roundhouse in London und lädt Publikum ein, um mit ihm zusammen neue Musik entstehen zu lassen.

Townshend ergänzt seine Idee um weitere Facetten. Zum Beispiel, dass sich die Energie eines Menschen mit einer Maschine zu Musik umsetzen lässt. Oder dass die Musik aller Menschen über Kabel miteinander verbunden werden kann. Dieser Teil der Idee übrigens ist der visionärste: Er nimmt das Internet vorweg.

Eine Idee, die niemand begreift

Musikalisch experimentiert Pete Townshend damals mit Synthesizern, als einer der ersten in der Rockszene. Und so entsteht auch die berühmte Synthesizer-Spur von «Won't Get Fooled Again», die die musikalische Umsetzung von Townshends Mentor und Inspirationsquelle Guru Meher Baba sein soll.

Doch das «Lifehouse»-Projekt scheitert. Weder das Publikum noch die Produzenten und Toningenieure, ja nicht einmal die Band begreifen die Idee. Und niemand, absolut niemand, kann sie in vollem Umfang wirklich beschreiben.

Nicht bloss alte Songs runterspulen

Trotzdem haben Teile des Projekts bis heute überlebt. Immerhin gibt es ein Internet, das Menschen miteinander verbindet und etwas Neues entstehen lässt. Es gibt auch die Maschine, die aus Menschen Musik macht: Jahrelang betreibt Townshend eine Website, die persönliche Daten von Usern zu Musik umrechnet, und die es heute nur darum nicht mehr gibt, weil Townshend vom musikalischen Resultat enttäuscht war. Und 2006 gibt The Who eine neue CD heraus, die sich wieder auf die Idee bezieht: «Endless Wire».

Townshend aber muss sich damit abfinden, mit seiner wichtigsten Idee gescheitert zu sein. Für uns Zuhörer ist das nicht schlimm: Er bleibt uns immer noch als stilbildender Gitarrist, als beeindruckender Performer und vor allem als Schöpfer einzigartiger Musik.

Hätte es die Vision nie gegeben, wäre Townshends Band so langweilig geworden wie die, die nur ihre alten Songs runterspulen. Und das Flaggschiffalbum «Who's Next» gäbe es auch nicht. Denn das laut Kritikermeinung beste The-Who-Album aller Zeiten besteht ausschliesslich aus den Trümmern des abgestürzten «Lifehouse»-Projekts.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 19.5.2015, 17.40 Uhr.

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