Loriots Jodelschul-Sketch von 1978 ist ein Klassiker. 40 Jahre später gibt es in der Schweiz wirklich so etwas wie ein Jodeldiplom. Und das ganz seriös – ohne Frau Hoppenstedt und «Du dödel du».
Das Hauptfach «Jodel» im Volksmusik-Studiengang der Hochschule Luzern unterrichtet Nadja Räss, eine der profiliertesten Jodlerinnen der Schweiz. Sie leitet neu auch den Studiengang Volksmusik an der Hochschule Luzern.
In Luzern teilt sich Räss’ Lehre in zwei Grundbereiche: «Es gibt einerseits Repertoirestunden, in denen die Studierenden mit konkreten Liedern, Melodien oder Naturjodeln arbeiten. Den anderen Teil machen Technikstunden aus, bei denen es zum Beispiel um den richtigen Einsatz der Bruststimme geht.»
Jodeln will gelernt sein
Jodeln lernen kann man auch in den Kursen des Eidgenössischen Jodlerverbandes EJV. In den Regionalverbänden bildet der EJV Dirigentinnen, Kursleiter und Jurorinnen für die Jodlerfeste aus und bieten Weiterbildungen in Notenlesen, Rhythmik und Jodelliteratur an.
Von diesem Angebot hebt Nadja Räss die Ausrichtung ihres Hauptfachs ab: «Die Ausbildung vom eidgenössischen Jodlerverband ist eine Laienausbildung. Die an der Hochschule ist eine längere und viel intensivere Berufsausbildung.» Das Ziel des Studiengangs ist, mit einem zusätzlichen Master in Pädagogik später an Schulen und Musikschulen Gesang mit Spezialisierung Jodel zu unterrichten.
Eine lebendige Praxis studieren – warum?
Bei den Mitgliedern des Eidgenössischen Jodlerverbands allerdings regen sich grundsätzliche Fragen, sagt die Zentralpräsidentin Karin Niederberger: «Warum soll man das Brauchtum Jodel, das innerhalb der Laienszene über Generation weitergegeben wurde, jetzt plötzlich studieren?»
Vor allem gestört aber hat den Jodlerverband, dass ihn die Hochschule Luzern bei der Planung nicht einbezogen hat, sagt Karin Niederberger: «Wir haben erst über die Medien erfahren, dass aus jener Praxis, die viele leidenschaftliche Jodlerinnen und Jodler seit über 100 Jahren in ihrer Freizeit pflegen, nun plötzlich ein Studiengang entstehen soll. Ich fand es sehr schade, dass mit uns nicht vorab kommuniziert wurde.»
Ein europäischer Diskurs
Dass eine lebendige Volksmusikpraxis zum Studienfach wird ist erstmal nichts Ungewöhnliches: an der Sibeliusakademie in Helsinki lernen Studierende unter anderem die finnische Zither Kantele, an der University of Limmerick die irische Fiddle oder an der Hochschule Luzern Schwizzerörgeli.
Die Musikethnologin Britta Sweers von der Uni Bern, die auf Folk Revivals spezialisiert ist, kennt die Reaktionen der traditionellen Szene auf die Gründung solcher Studiengänge: «Hinter einer Akademisierung einer Volksmusiktradition befürchten einige traditionelle Musikerinnen und Musiker den Verlust einer gefühlten Authentizität. Sie haben oft das Idealbild einer unmittelbaren, spontanen Volksmusik und vermuten, dass die institutionalisierte Ausbildung die Musik poliert, sie verkopft und künstlich wirken lässt.»
Umgang mit Regionalstilen
Unterschiedliche Erwartungen an Volksmusik stehen also einander gegenüber. Das betrifft auch den Umgang mit den regionalen Traditionen. Der Jodlerverband verfolgt die Mission, regionale Stile unverfälscht zu bewahren.
Damit ist auch die Vorstellung verknüpft, dass nur ein gebürtiger Appenzeller in der Lage sei einen echten Appenzeller Naturjuuz zu singen.
Eine Studentin im Hauptfach Jodel hingegen soll gleichzeitig das Repertoire und die Technik verschiedener Schweizer Jodeltraditionen beherrschen – vom Muoatathal bis in das Toggenburg: «Wenn jemand an der Hochschule Jodel studiert hat, hat er oder sie sich eine breite Palette angeeignet», sagt Nadja Räss.
Was zählt, ist Herzblut
Um Konkurrenz zwischen der Hochschule und dem Jodlerverband oder einem Gefälle zwischen Profis und Laien gehe es aber nicht, sagt Karin Niederberger: «Es haben immer verschiedene Strömungen nebeneinander existiert. Die Jodlerinnen und Jodler beim EJV sind mit so viel Engagement und Herzblut dabei, dass sie keine Angst haben, dass ihnen etwas weggenommen wird.»
Ohne Herzblut hätten wohl auch die vier Studentinnen, die ab dieser Woche ihr Jodel-Studium in Luzern antreten, kaum ihre Aufnahmeprüfung bestanden.
Und in drei Jahren stellt sich dann – frei nach Loriot – die Frage: Wird sich das Diplomjodeln, das Jodeln mit Jodeldiplom, vom Jodeln ohne Diplom unterscheiden?