Der Zürcher Liedermacher Markus Schönholzer hatte gerade ein abendfüllendes Bühnenprogramm fertiggestellt, als die Pandemie kam. Statt auf Tournee ging er fortan auf Spaziergänge durch die Stadt Zürich.
Unterwegs dachte er darüber nach, weshalb es kaum Musik gibt, die bewusst für bestimmte Orte geschrieben wird – etwa den Friedhof Sihlfeld, den er öfter besucht.
Klingende Landkarte
Daraus entwickelte der Musiker, der etwa für seine Komposition für das Musical «Gotthelf» oder den Soundtrack für den Film «Die Standesbeamtin» bekannt ist, die Idee einer App für musikalische und literarische Spaziergänge. Gleichzeitig sollte sie Kunstschaffenden in Pandemiezeiten eine Auftrittsmöglichkeit bieten.
Gemeinsam mit zwei Mitstreitern entwickelt er die App «Songmapp», die einer klingenden Landkarte gleicht. Äusserlich erinnert sie an herkömmliche Online-Kartendienste. Allerdings ist sie viel liebevoller und farbenfroher gestaltet.
Auf der Karte sind blaue oder grüne Fähnchen gesteckt, auf die man sich als Userin oder User in der echten Welt zubewegen soll. Erst wenn man am genauen Standort steht, etwa auf einem Spielplatz, schaltet die App die Audiodatei eines Songs frei. Das animiert zum Flanieren.
Durch die Lieder und Geschichten erlebt man die Umgebung neu. Am Treffpunkt am Zürcher Hauptbahnhof gibt es etwa ein Stück zu hören, das sich ums Zuspätkommen dreht.
Der Liedtext und der jeweilige Standpunkt stehen jeweils in gegenseitiger Wechselwirkung: Zum Beispiel beim Lied, das auf dem Friedhof Sihlfeld abgespielt wird In «Fride» geht es um die ganze Weisheit, die dort unter der Erde begraben liegt.
Musik für alle Altersklassen
Die «Songmapp» richtet sich an Menschen, die gerne unterwegs sind – am besten zu Fuss – und die dabei durch Kultur etwas entdecken und erleben wollen. Da sich die Standorte der Songs alle im öffentlichen Raum befinden, ist die App für alle Menschen zugänglich. Zudem ist sie sehr einfach zu bedienen. Das Alter der Userinnen und User spielt keine Rolle.
Besonders neu ist die Idee nicht: Standortbezogene, digitale Formate und Apps sind in anderen Künsten wie Theater und Performance weitverbreitet. Zudem erinnert der digitale Spaziergang an Geocaching, eine Art digitale Schatzsuche.
Technisch gesehen ist «Songmapp» also zwar keine grosse Innovation, dafür ist sie sympathischer als andere Apps dieser Art. Denn in dem Augenblick, in dem der Song zu laufen beginnt, zieht «Songmapp» keine Aufmerksamkeit mehr auf sich, sondern tritt in den Hintergrund. Es zählen nur noch der Moment und die eigenen Sinne und Gefühle.
Unmittelbar nach dem Launch findet man in der App zwei Routen zum Nachlaufen und Nachhören. Die eine enthält zehn Stücke von Schönholzer, die andere elf Kurzgeschichten des Autors und Kabarettisten Ralf Schlatter. Weitere Spaziergänge sind in Planung.
Bisher beschränken sich die Touren auf die Stadt Zürich. In Zukunft sollen Orte in der ganzen Schweiz dazukommen.
App soll weiter wachsen
Die «Songmapp» soll weiterwachsen: Nicht nur Musikerinnen und Musiker, sondern auch Autorinnen und Autoren aus der ganzen Schweiz und Lichtenstein können ab sofort ihre eigenen Songs und Audiogeschichten eingeben. Wichtig dabei ist, dass die Stücke unveröffentlicht und eigens für einen bestimmten Standort geschrieben wurden.
Damit unterstützt die «Songmapp» das Schweizer Musik- und Literaturschaffen. Via «Erzähl davon!»-Button lassen sich die gehörten Inhalte via Nachrichten und Social Media teilen. Ausserdem kann via einem «Applaus»-Button gespendet werden. Die Einnahmen kommen allen Beteiligten zugute.
Digitale «Konzentrationszone»
Die «Songmapp» wird den Konzertsaal, das Theater oder das Kino nicht ersetzen. Doch Markus Schönholzer weist auf eine besondere Qualität der App hin: «Wenn man in eine Konzentrationszone geht, wie im Theater oder im Kino, weiss man, dass etwas Besonderes kommt. Dann ist man empfänglicher für Worte und Töne.» Seine App löst dies ebenfalls aus, ist er überzeugt.