Immerhin ist sie ehrlich. Die Sängerin Taryn Southern – früher Castingshowteilnehmerin, heute Youtuberin – bringt ihr erstes Album heraus und nennt es «I AM AI», also «I Am Artificial Intelligence». Das ist es auch. Die Musik hat Southern weder komponiert noch produziert. Erzeugt hat es Amper, ein Musikprogramm, das mit künstlicher Intelligenz (KI) Songs zusammensetzt.
«Break Free» – befreien – heisst die erste Single des Albums. Ein Blick auf das Musikvideo beweist: die Youtuberin befreit sich tatsächlich von vielem, was mit Authentizität, Stil und Musikmachen zu tun hat.
Künstlich oder intelligent?
Der Song klingt so künstlich wie die zahlreichen Filter, die sich die junge Frau im Video über das Gesicht legt, um mit hingebungsvoller Ausdruckslosigkeit das wiederzugeben, was der Computer ausgespuckt hat.
Southern schrieb den Text und die Gesangsmelodie selber, den Rest übernahm die Software. Mit wenigen Klicks gab Southern dem Programm einige Richtlinien vor. Sie wählt das Genre («Folk», «Rock», «90er-Pop»), die Stimmung («dunkel dramatisch», «atmosphärisch», «zärtlich»), die Instrumente, Geschwindigkeit und Länge, – und Amper machte daraus, nun ja, das künstlich klingende Lied.
Komponieren mit dem digitalen Partner
«Ich habe gewissermassen einen neuen Partner für das Schreiben meiner Songs», erzählt Southern CNN Tech. «Er wird nicht müde und hat eine unendliche Kenntnis der musikalischen Schöpfung.» Southern selber beherrscht die Selbstvermarktung im Netz besser als das Klavier, wie sie mit ihrer Vermarktungsstrategie – «das erste mit künstlicher Intelligenz komponierte Album» – beweist.
Auch für ihren «Partner» Amper ist es beste Werbung. Das US-amerikanische Start-up wurde von Musikern und Tech-Spezialisten gegründet, um künftig die Produktionskosten für Werbefilme und Online-Videos zu senken. Die Software greift dafür auf lizenzfreie Songs zurück.
Konkurrenz gibt’s bereits aus Australien und Grossbritannien. Die Start-ups «PupGun» und «Jukedeck» entwickelten ebenfalls KI-Programme, die Musik on-Demand für Kunden in der Video- und Gamebranche erzeugen.
Einheitsbrei auf Youtube?
«Jukedeck» produzierte bereits Musik für Unternehmen wie Coca-Cola, Google oder das Naturhistorische Museum in London. Sie alle benötigten Hintergrundmusik für Videos oder wollten bereits bestehende Musikstücke modellieren oder verlängern.
Dafür eignen sich die KI-Musikprogramme tatsächlich. Aber eine Musikkarriere damit starten? Vorerst kaum. Wenn das Beispiel so Schule macht, ist eher ein Einheitsbrei auf Youtube zu befürchten.
Amper-CEO Drew Silverstein sieht das anders. Durch den digitalen Musikpartner drohe keine Gefahr für schablonenhafte Musikstücke, im Gegenteil. «Es eröffnet eine neue Ära der Kreativität», sagt er.
Mal sehen – oder hören, was die Zukunft bringt.