Die Tanzszene am Strand aus dem Film Alexis Sorbas hat Kultstatus. Der Komponist Mikis Theodorakis hat sich mit dieser Melodie in unsere Köpfe gebrannt – und ein ganz bestimmtes Griechenlandbild gleich mit. Die Melodie machte den 1925 auf der Insel Chios Geborenen berühmt. Aber sie hängt wie ein Stein um seinen Hals, sagte Theodorakis kürzlich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen.
Hochkultur wird massenkompatibel
Denn er ist noch viel mehr, ein waschechter klassischer Komponist: Hunderte Lieder hat er komponiert, Ballette, Kantaten, Sinfonien und grosse Chorwerke. Auch in seiner Sinfonik bezieht er sich auf griechische Musiktraditionen. Meistens ist die Bouzouki, die griechische Laute, mit von der Partie: Sie steht symbolisch für die eigene, moderne Identität, die Theodorakis Griechenland mit seiner Musik geben wollte.
Die Mission seit seinen Anfängen ist eine kulturelle Wiedergeburt, denn er ist der Mann für die griechische Sache: «Als Mann der griechischen Linke habe ich ein Ideal: die Renaissance des griechischen Volkes, nicht nur sozial und ökonomisch», sagt er im Interview gegenüber SRF.
Eine seiner Strategien: Die Texte grosser griechischer Dichter mit folkloristischen Melodien verbinden – also Hochkultur massenkompatibel machen. Denn ein Künstler ist dem Publikum, dem Volk verpflichtet, sagt Theodorakis. Für ihn ist Komponieren nie Selbstzweck, er fordert eine politisch engagierte Kunst.
Komponieren gegen die Diktatur
Und das meint er sehr ernst, mehrmals hätte er beinahe mit seinem Leben dafür bezahlt. Mit 18 Jahren im Widerstand gegen die Nazis, nach dem Zweiten Weltkrieg im Bürgerkrieg. Er, der Kommunist, der Pazifist, der Patriot wurde immer wieder verhaftet und gefoltert.
So auch 1967, als in Griechenland das Militär die Macht übernimmt. Theodorakis leistet erneut Widerstand und gründet die Untergrundbewegung «Patriotische Front». Wenig später wird er verhaftet, kommt ins Gefängnis, dann ins Konzentrationslager. Im Gefängnis – nur im Kopf, ohne Stift und Papier – schreibt er den Zyklus «Sonne und Zeit», ein Dialog mit dem «Ich». So komponiert er an gegen die Diktatur, und gegen den eigenen Wahnsinn.
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Lieder unter Tränen
Ausserhalb des Gefängnisses wird er zur Ikone des linken Kampfes. Seine Lieder sind streng verboten, aber illegal zirkulieren sie auf Schallplatten und Tonbändern und werden heimlich gesungen. Sie tragen den Widerstand. «Keiner wird uns dieses Land nehmen», heisst es zum Beispiel in der Vertonung eines Gedichtes von Gianni Ritsos.
1970 erkämpft ihm eine internationale Solidaritätsbewegung – darunter Künstler wie Schostakowitsch und Bernstein – sein Exil. Doch schon vier Jahre später kehrt Theodorakis aus Frankreich nach Griechenland zurück. In einem Stadion in Athen feiern ihn 50‘000 Leute. Der knapp zwei Meter grosse Mann mit den schwarzen Locken dirigiert, mit ausgestreckten Armen, wie ein Adler. Stehend, jubelnd, unter Tränen singen die Massen seine Lieder, nun endlich wieder öffentlich – ein Befreiungsschlag nach fast acht Jahren Diktatur.
Politische Kehrtwendungen
Die Verbindung aus Musik und Politik gehören für Mikis – so wird er in Griechenland genannt – seit jeher zusammen. Auch nach seiner Rückkehr aus Griechenland engagiert er sich, zieht mehrmals ins Parlament ein, liebäugelt dabei immer wieder mit anderen Parteien und gründet auch eine eigene Partei. 1991 wird ihm vorgeworfen, öffentliches Geld in die eigene Tasche gesteckt zu haben, später tritt er als Minister und Parlamentarier zurück. 2012 wird er an einer Demonstration gezielt mit Tränengas attackiert, seither ist er kaum mehr in der Öffentlichkeit.
Kein Fest ohne seine Lieder
Aber seine Meinung ist immer noch gefragt: Im Februar 2015 hat er sich mit dem damaligen griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras getroffen und ihm geraten, die von der EU geforderten Reformen abzulehnen. Denn in der EU-Politik sieht er eine neue Unterdrückung der Griechen und eine nationale Tragödie.
Und seine Lieder? Sie sind längst Gemeingut. Politische Volkslieder, die heute an keinem Familienfest und an keiner Demonstration fehlen. Denn Lieder wie «Sto Perigiali» («Lossagung») sind einfach zeitlos: «Mit dem Herzen, mit dem Atem – sowie Sehnsucht, soviel Leidenschaft! Wir sahen unseres Lebens Fehler und änderten das Leben!»