Am Freitag startete nach einer letztjährigen, stark reduzierten Corona-Version das grösste und wichtigste Klassikfestival der Schweiz. Das Motto des Lucerne Festivals lautet heuer: «Verrückt». Dieser Begriff passt auch gut zur Planung und Organisation der diesjährigen Ausgabe, wie Intendant Michael Haefliger erzählt.
Michael Haefliger, wieviel Mut braucht es, ein Riesenfestival in so unsicheren Zeiten zu planen?
(lacht) Sagen wir mal so: unser Festival-Thema ist «Verrückt»… Wir haben Anfang April dieses Jahrs entschieden, wie wir das Festival umsetzen, haben das mit den Behörden abgesprochen und so machen wir es jetzt: Beschränkung auf circa 50 Prozent Saalkapazität, keine Pausen, Masken während den Konzerten, Platzabstand auf der Bühne und im Publikum.
Die KKL Lüftung wurde extra nochmals mit einer Aerosolstudie überprüft. Die ganz grossen Sinfonien haben wir gestrichen, auch die grossen konzertanten Opern. Eigentlich wollten wir noch zwei Orchester aus Amerika einladen, die kommen nicht.
Wir können nicht warten, dass das Virus verschwindet, denn das wird so schnell nicht passieren.
Das Wichtigste ist, dass wir zurück auf die Bühnen gehen. Dass wir nicht warten, dass das Virus verschwindet, denn das wird so schnell nicht passieren. Wir müssen lernen, damit umzugehen.
Das Lucerne Festival strotzt in diesem Sommer nur so vor internationalen Klassikstars. Normalerweise planen Stars wie Yuja Wang bis zu drei Jahre im Voraus. Wann haben sie angefangen, diesen Festival-Sommer 2021 zu planen?
Wir haben 2018 angefangen zu planen. Dass Yuja Wang «artiste étoile» wird, haben wir damals schon fixiert. Sie war euphorisch, als sie erfuhr, dass wir das Festival wirklich durchführen und sie nach Luzern kommen kann. Sie hatte mehr als acht Monate keine Auftritte. Diese Sehnsucht zurück auf die Bühne, die spüren wir bei allen Künstlern stark.
Es ist ja bis heute unsicher, aus welchen Ländern man in die Schweiz einreisen kann, respektive das kann sich schnell ändern. Wie gehen Sie damit um? Schlimmstenfalls müssten ja ganze Orchester in Quarantäne geschickt werden.
Es fühlt sich an, wie wenn man mit einem Schiff in den Nebel fährt und über die Schallwellen rausfinden muss, wie man am besten vorwärtskommt. Es ist ein permanenter Orientierungsprozess.
Es fühlt sich an, wie wenn man mit einem Schiff in den Nebel fährt
Aber konkret, was passiert bei kurzfristigen Änderungen? Was passiert, wenn ein Einreiseland plötzlich auf der Risikoliste steht oder Musiker mit einem positiven Test irgendwo im Hotelzimmer stranden?
Wir schauen vorzu. Yuja Wang zum Beispiel ist schon länger in Europa. Das sollte kein Problem sein.
Jeder Fall muss individuell angeschaut werden: Wenn ein Orchestermusiker positiv getestet wird, kann man schauen, ob man ihn ersetzen kann. Wenn ein Solist positiv getestet wird, dann müssten wir voraussichtlich das Konzert absagen oder einen anderen Solisten fragen, ob er einspringt.
Müssen Sie dieses finanzielle Risiko selbst tragen?
Wir haben unsere Planung mit dem Kanton Luzern abgesprochen. Wir haben auch darüber geredet, wie uns der Kanton bei einer Absage helfen könnte. Am Ende des Jahres werden wir eine Endabrechnung machen und diese dann mit dem Kanton anschauen.
Das Festival findet statt, die Tickets verkaufen sich gut, hoffentlich gibt es keine grösseren Probleme aufgrund Corona. Jetzt kommt aber schon der nächste Hammer: die Frage, wie nachhaltig ist so ein Festival wie Lucerne überhaupt?
Wir sind dran, mit MyClimate einen CO2-Fussabdruck vom Festival zu erstellen. Nachhaltigkeit ist auf jeden Fall ein Riesenthema. Ich weiss, dass die Berliner Philharmoniker schon jetzt einen Teil ihrer Reisen mit dem Zug erledigen. Heute können Orchester innerhalb Europas gut mit dem Zug fahren.
Auch Strecken wie Berlin – Schanghai sind bald mit zwei Übernachtungen durchaus machbar. Jetzt ist die Politik gefordert, die richtigen Parameter zu schaffen. Da hat Corona sogar mal etwas Gutes geschafft, immer mehr Leute für dieses Thema zu sensibilisieren.
Das Gespräch führte Barbara Seiler.