Das wird ein grosser Abgang in Zürich: Der Chefdirigent geht, der Intendant geht und der Präsident des Orchesters geht auch. Zusammen sind die Herren über 200 Jahre alt. Für David Zinman war bei seiner letzten Vertragsverängerung klar: Wir bleiben zusammen bis zum letzten Tag, hinterlassen keine Hangovers, dafür ist danach Luft und Raum für Neues.
Aus einem guten, ein sehr gutes Orchester gemacht
Wie anders war es bei seiner Ankunft 1995: Es gab schon länger keinen Chefdirigenten mehr und das Selbstbewusstsein des Orchesters war etwas angeschlagen. Trotzdem hatte er nicht den Eindruck, dass er die Ärmel hochkrempeln musste, um den Karren wieder flott zu kriegen.
Im Gegenteil: «Ich musste nichts weiter tun, als ich selbst zu sein und mit den Leuten die Musik zu machen, die ich wollte. Die Tonhalle war damals ein gutes Orchester, und ich machte daraus ein sehr gutes Orchester. The guy who is following me, der kriegt nun ein sehr gutes Orchester – und das ist ein Segen für ihn.»
«The guy who is following me» – das ist Lionel Bringuier. Ab September 2014 Zinmans Nachfolger.
Das Orchester wurde komplett erneuert
In den 19 Jahren seiner Zürcher Zeit hat sich das Orchester sozusagen einmal erneuert. Heute gibt es kaum Musiker, die länger im Orchester sitzen als Zinman vorne gestanden hat. Der Chef hat also bei jedem und jeder das Probespiel persönlich angehört und danach entschieden: Passt hinein oder nicht.
Ausgewählt hat er schliesslich all jene, die etwas von Kammermusik verstehen und die über einen ausgebildeten musikalischen Instinkt verfügen. Darunter versteht Zinman die Lust am Musizieren, egal ob Probe oder Konzert, die gemeinsame Spielfreude, die verbindend ist.
Gute Arbeitskollegen, keine Kumpel
«Gut gemacht in all den Jahren», sagt David Zinman, «war die kontinuierliche Orchesterarbeit.» Egal ob in Baltimore, wo er vorher war, in Rochester oder eben in Zürich, er hat sich stets aufs Orchester und die Menschen eingelassen, hat ihnen vertraut, sie respektiert, nicht zu viel geredet in den Proben, bloss die wichtigen Dinge geregelt – und schliesslich im Konzert dann alles zusammengebracht.
So habe man grossartige Momente gemeinsam erlebt. So sei die besondere Chemie auch entstanden. Dazu gehört übrigens auch, dass man sich gegenseitig nie als Kumpel betrachtet hat: «Ich habe sie nie zu mir nach Hause eingeladen, und sie haben mich nicht zu sich eingeladen.» Was aber nicht ausschliesst, dass man zusammen auch gelacht hat und sich beim Vornamen rief.
Blick nach vorne
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David Zinman ist in diesen Tagen 78 Jahre alt geworden. Die Füsse tun ihm manchmal weh, der Rücken und die Knie ebenfalls. Das alles erzählt er mit bewundernswerter Sachlichkeit. So sei es ihm vergönnt, dass er kürzer treten wird. Ab und zu kommt er zu Gastdirigaten nach Zürich, auch hat ihn die Hochschule für ein Semester als Dozent verpflichten können. Und vielleicht wird er sich endlich seinem Buch zuwenden können, das er vor vielen Jahren zu schreiben begann – und bei dem immer noch das Ende fehlt.
Abreise in die USA
Erst mal freut er sich über die zwei Kilogramm schwere CD-Box, die eben erschienen ist. Mit allen Beethoven-Sinfonien, Mahler, Schubert, Schumann, Strauss und Brahms. Ein paar wenige Mozart-Konzerte und Haydn – so klang Zürich unter Zinman die letzten 19 Jahre. Viel 19.-Jahrhundert-Sinfonik, nichts Zeitgenössisches, keine Oper. Das bedauert er ausgesprochen. Und würde es im nächsten Leben anders machen.
Zur Zeit ist er mit Packen beschäftigt. Vor einem Monat sind bereits seine Bücher, die Noten und die Aufnahmen in Richtung USA verschifft worden.
«Es ist traurig zuzuschauen, wie sich langsam die Leere ausbreitet», sagt er. Trotzdem ist es klar, dass er seine Wohnung in Zürich nicht behalten wird. New Jersey wird sein künftiger Lebensmittelpunkt sein.
So hat er es vor 19 Jahren auch gehalten, als er nach Zürich berufen worden ist. Da hat er drüben eingepackt und zugeschaut, wie sich sein Haus leerte.
Zinman war nie ein Jet-Set-Dirigent, der von einem Orchester zum nächsten, von einem Kontinent zum andern eilte. Er hat in Zürich gearbeitet, demnach hat er auch hier gewohnt, gelebt. Jetzt ist diese Zeit vorbei, darum packt er die Koffer. Und was ist mit seinem Bart? Den hat er sich einst wachsen lassen, als er nach Zürich kam. Jetzt bei seinem Weggang – wird er ihn abschneiden?