Das Musikprogramm des Culturescapes-Festivals ist mit 40 Acts quer durch alle Genres und quer durch alle Länder des Westbalkans schon beinahe überwältigend. Aber bei Culturescapes geht es nicht nur darum, Musiker aus den Ländern Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien in die Schweiz zu holen. Es geht auch um Repräsentation, um Grenzen in den Köpfen, um gegenseitige Projektionen. So ein Programm ist immer auch ein politisches Statement.
Grosse Namen - wenig Unbekannte
In einem (kleinen) Teil des Musikprogramms gehen der künstlerische Leiter Juriaan Cooiman und sein Team diese Herausforderung über interkulturellen Dialog an: So treten die Knabenkantorei Basel und der Chor der Musikschule Prenk Jakova aus dem Kosovo gemeinsam auf oder es vereinen sich im länderübergreifende No Borders Orchestra verschiedene Ethnien und Nationen.
Im Programm sind aber vorwiegend Musikerinnen und Musiker vertreten, die aufgrund ihres grossen Namens repräsentativ für ihre Genres sind. Das wirft Fragen auf: Diese Musikerinnen und Musiker sind bereits international präsent und wissen sich auch zu vermarkten. Vielleicht läge es aber in der Verantwortung eines so grossen Festivals wie Culturescapes, sich als Marktöffner für unbekanntere Künstlerinnen und Künstler zu verstehen.
Der Balkan in vielen Facetten präsentiert
Das Programm taucht also nicht nach Perlen und knüpft keine neuen Netzwerke. Seine Stärke liegt darin, bestehende Netzwerke so zu nutzen, dass der kleinste gemeinsame Nenner «Balkan» möglichst vielfältig präsentiert wird. Und schon damit bricht Culturescapes ein Klischee: In Westeuropa wird der Balkan musikalisch oft als homogener Raum wahrgenommen. Man denkt an treibende Beats einer Brass-Band oder wilde Gipsy-Melodien eines Goran Bregović.
Diese Sounds machen nur eine Minderheit des Culturescapes-Programm aus, was den seit Jahren in Mazedonien forschenden Musikethnologe Dave Wilson freut: «Es ist erfrischend ein Programm zu sehen, das den Balkan nicht als rückwärtsgewandt und exotisch präsentiert, sondern als facettenreiche Region».
Ein sicheres Händchen, den realen Balkan zu präsentieren, haben die künstlerischen Leiter vor allem im Bereich Rock, Pop und HipHop – das liegt sicher auch an der Kompetenz der Kooperationspartner wie Balkankaravan (Goran Potkonjak in Zürich) oder Kulturshock (Mario Peric in Bern). Eine Brücke mehr ist damit dann auch gebaut: Die bei ihnen stattfindenden Konzerte von Mostar Sevdah Reunion, S.A.R.S, Rambo Amadeus, Yu Grupa und Dubioza Kolektiv sprechen auch die Balkan-Diaspora in der Schweiz an.
Es gibt mehr als nur die Volksmusik
Bei einem Grossteil der Culturescapes-Konzerte ist aber eine geringere Durchmischung des Publikums zu erwarten. Das liegt an den verschiedenen Erwartungen: Volksmusik ist eher uninteressant für die Menschen aus Balkanländern, die in der Schweiz leben. Das Schweizer Kulturpublikum hingegen will Volksmusik-Bezüge hören, damit es die Musik auf dem Balkan verorten kann.
Und diese Erwartungen, die nicht ganz frei von Projektion sind, befriedigen die Culturescapes leider. Es sind vor allem Musikerinnen und Musiker vertreten, die mit traditioneller Musik arbeiten oder traditionelles Flair in ihrer Musik haben - das hat natürlich lange nicht jede Musik, die in Balkanländern gespielt wird.
Die serbische Musikethnologin Irina Cvijanović stimmt dieser Beobachtung zu, ist aber dennoch froh verschiedene Zugänge zu traditioneller Musik zu sehen: «Der Balkan wird nicht nur durch Künstlerinnen und Künstler vertreten, die Musik in rein traditioneller Weise spielen. Sondern auch durch solche, die durch die Kombination verschiedener musikalischer Stile ihren ganz eigenen Balkansound erzeugen.» Ein Beispiel ist das Quartett des mazedonischen Musikers Toni Kitanovski. Oder die Band Shazalakazoo aus Belgrad, die alte Aufnahme traditioneller Musik in elektronische Tanzmusik verwandelt.
Balkan in der Schweiz und die Schweiz im Balkan
Ein anderes Statement ist im Programm der Culturescapes zu erkennen: Der Balkan besteht nicht nur aus den Ländern auf dem Gebiet von ex-Jugoslawien und Albanien. Der Balkan lebt auch in der Schweiz und in Österreich.
Das zeigen Künstler wie Mario Batkovic, der in Bosnien und Herzegowina, Serbien und der Schweiz aufwuchs oder die in Wien lebende Slowenin Maja Osojnik. Die Culturescapes bringen aber auch die Schweiz auf den Balkan: Im «Rückspiel» treten Schweizer Musiker in Balkanländern auf.
Einer ähnlichen Idee folgten auch die Swiss Music Days, die gestern in Belgrad zu Ende gingen: Die Schweizer Szene experimenteller und improvisierter Musik präsentierte sich dabei nicht nur mit eigenen Konzerten in verschiedenen Städten. Auch die Zusammenarbeit und der Austausch war Programm: die Schweizer trafen in «Improvised Encounters» auf junge Musikerinnen und Musiker aus Belgrad.
Zu hoffen ist, dass sich solche Begegnungen auch an den Culturescapes ergeben und auch langfristig bestehen bleiben. Denn erst das bereichert wirklich beide Seiten.