Bob Marley, Sohn einer schwarzen Jamaikanerin und eines Briten, bleibt zeitlebens schwarz-weiss, in allen Belangen. Er ist schüchterner Frauenschwarm und patriarchalischer Rastafari-Traditionalist zugleich. Ein Musiker, der die Versöhnung zwischen den Klassen und Rassen vorlebt, seinen sieben Frauen aber vorschreibt, was für Kleider sie zu tragen haben. Ein Mann, der seine elf Kinder liebt, aber von Sohn Ziggy auch als «rough man» bezeichnet wird.
Marley ist grosszügiger Unterstützer der Bedürftigen, er ist Fussballfan und gesundheitsbewusst, BMW-Fahrer, Ganja rauchender Rastafari und afrozentrischer Träumer, dessen Publikum ironischerweise grösstenteils weiss bleibt. Bob Marley ist das personifizierte Ying und Yang. «He was an eternal outcast - neither black nor white», erinnert sich sein ehemaliger Weggefährte Bunny Wailer. Versöhnung von Gegensätzen: Das ist der Motor von Marleys Existenz und Musik.
One Love
Marleys Lieder sind Gegenentwürfe zu einer Lebensrealität, welcher der Junge nur durch die Musik entrinnen konnte. Marleys Ghetto-Geschichten waren kein Verkaufsargument, sondern Teil einer bewegten Biografie. Bandmitglieder Peter Tosh und Carlton «Carly» Barrett wurden in Kingston ermordet, und auch Marleys unerschütterlicher «One Love»-Aktivismus in Jamaikas politisch aufgeheizten Klima der späten 70er-Jahre wurde beinahe mit dem Tod durch die Kugel quittiert. Aber Marley überlebte und wurde wider Willen zum Sprachrohr der gespaltenen Nation.
Marleys genialer Minimalismus
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Marleys Musik ist immer eine Hör-Reise wert. Ein Beispiel: Der Hit «Exodus» besteht genau aus einem Gitarren-Akkord (Am7) und Marley-typischer Rastafari-Weltverbesserungslyrik. Die totale musikalische Verkümmerung also? Nope. «Exodus» ist – wie alle Marley-Klassiker – ein visionäres Werk. Vom Songwriting über die musikalische Performance bis hin zu Arrangement, Instrumentierung und Produktion – reine Groove-Poesie. So pathetisch das klingen mag: Bob Marley ist für die World Music was Michael Jackson für den Pop, Miles Davis für den Jazz oder Bob Dylan für den Folk bedeutet.
Nicht zuletzt allerdings dank Marleys kongenialer Band und Produzenten wie Vincent «Randy» Chin, Chris Blackwell oder Lee «Scratch» Perry. Sound-Tüftler Lee Perry war Marleys früher musikalischer und spiritueller Mentor. Blackwell machte Marley zum Drittwelt-Superstar, indem er seine Musik einem internationalen Publikum als «Black Rock»-Sensation verkaufte. Auf die Frage, warum Marley auch 30 Jahre nach seinem Tod noch immer als Inbegriff des Reggae und der World Music gilt, hat Perry eine lapidar einfache Antwort: «Wegen der Geschichten, die er erzählt. Man muss ihm einfach glauben». Dazu reichen ein Akkord und einfache, gut platzierte Worte. Genial.
The Wailers – die Band hinter Marley
Das Erstaunliche ist, dass nicht nur Marley, sondern auch seine Band The Wailers ein Kollektiv von Assen war: Peter Tosh und Bunny Wailer waren Gründungsmitglieder und starteten später erfolgreiche Solo-Karrieren. Gitarrist Junior Marvin oder Bassist Aston Barrett waren starke Stimmen auf ihren Instrumenten, und Drummer Carlton «Carly» Barrett war ein Phänomen.
Seine Schlagzeug-Tracks haben bis ins kleinste Detail eine Handschrift, die tausendfach kopiert und bis heute unerreicht blieb. Keiner klingt wie Barrett. Kein Mensch und auch keine Drum Machine kriegen ein solches Phrasing hin. Jeder Marley-Hit lebt von Barretts Künsten. «Buffalo Soldier» oder «Get Up Stand Up» sind nicht zuletzt Dank Barretts Drum Tracks vielschichtige, dreidimensionale Songs. Barrett ist der vielleicht einzige Drummer neben Mitch Mitchel (Jimi Hendrix) oder Keith Moon (The Who), der innerhalb eines Pop-Songs eine Million Noten spielen kann ohne den Song komplett zu zerstören.
Sein Bruder Aston Barrett sagte einmal, dass Reggae die Fusion von Jamaikanischer Musik, Funk, Soul und Jazz sei. Jazz? Carlton Barrett ist der beste Beweis dafür. Sein Drumming ist der Inbegriff von improvisatorischem und songdienlichem Spiel zugleich.