Von seinen Eltern hat er die Begeisterung für klassische Musik nicht: Cameron Carpenter wurde 1981 in Meadville (Pennsylvania, USA) als Sohn einer Ingenieursfamilie geboren. Trotzdem begann er als 4-Jähriger Klavier und Orgel zu spielen. Zusätzlich begeisterte ihn das Foto einer Kino-Orgel, das er in einer Kinderzeitschrift entdeckte. Auf dem Foto war auch ein chic gekleideter Organist zu sehen, den Daumen hatte er auf einem anderen Manual als die übrigen Finger.
Seither liegt viel disziplinierte Arbeit an Tasten und Pedalen hinter ihm: Mit 11 Jahren spielte Carpenter Bachs Wohltemperiertes Klavier, 2006 schloss er sein Master-Studium an der Juillard School in New York ab. Fast 30 Jahre später ist Carpenter nun selbst wie der Mann auf dem Foto. Ein Organist mit trendigen Kleidern, und seine neue Orgel ähnelt einer Kino-Orgel.
Vielseitige Virtuosität
Am Instrument spielt Carpenter all seine Möglichkeiten aus. Da sind einerseits die manuellen Fertigkeiten: Seine Fingertechnik (auch er spielt wenn nötig mit einer Hand auf zwei Manualen) und insbesondere seine Pedaltechnik. Etwa gleichzeitig mit dem Musizieren hat er angefangen zu tanzen. Dabei hat er gelernt, seine Füsse so schnell zu bewegen, dass sie auch die Läufe in Chopins Revolutions-Etüde bewältigen.
Andererseits fällt die Farbigkeit seines Spiels auf, die Vielseitigkeit seiner Registrierungen. Carpenter erzielt auf diese Weise verblüffend plastische Effekte, welche die Orgel wie ein Orchester klingen lassen. Einigen wird das auch zu viel.
Gefühl und Ekstase
Die vielen Klangfarben und die Virtuosität sind, wie er sagt, aber nicht Show oder Selbstzweck. Sie sind sein Ventil. Was ihn interessiert und antreibt, sind spontane Gefühle und Ekstase.
Eine subjektive Sichtweise, wie sie auch Klaviervirtuosen der Spätromantik pflegten. Carpenter sieht sich in dieser Tradition, er nennt Leopold Godowsky, Franz Liszt oder Józef Hofmann als Beispiele. Wie Godowsky bearbeitet er Chopin-Etüden und wie Liszt populäre Lieder, oder er liess sich wie Hofmann ein individualisiertes Instrument bauen.
Carpenters eigenes Instrument
Für seinen sehr persönlichen Stil hat er seit diesem Jahr das passende Instrument: Eine digitale Orgel (Versicherungswert 1.1 Mio. USD), gebaut von «Marshall & Ogletree» nach seinen Wünschen. Das Instrument bietet gesampelte Klänge von mehr als 30 amerikanischen Orgeln, 5 Manuale, Pedale und an die 200 Register – mit diesen Möglichkeiten kann sie mit den grössten Orgeln der Welt mithalten.
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Neben unzähligen Klangkombinationen besticht die Mobilität dieses Instruments. Die Orgel samt Hightech-Lautsprechern kann in einen LKW verpackt und transportiert werden. Für Konzerte in den USA steht dort ein weiteres Lautsprecher-Set zur Verfügung.
Kein Crossover-Musiker
Wegen seines grossen Erfolgs und seiner Erscheinung denken bei Carpenter viele, er sei ein weiterer Crossover-Star. Das trifft aber kaum zu: Zwar bearbeitet und spielt er auch ein paar wenige U-Musiktitel. Er verpoppt aber keine klassischen Stücke und reichert sie nicht mit einem Rockorchester an. Sein Repertoire ist durchwegs klassisch: Originale Orgelliteratur aller Epochen (nur wenig Zeitgenössisches), Bearbeitungen von Klavier- oder Orchesterstücken sowie Improvisationen und Eigenkompositionen.
Sein Äusseres stand schon oft zur Diskussion. Dem landläufigen Klischee eines Organisten entspricht es nicht. Allerdings ist es für einen Mann seines Alters auch nicht besonders aussergewöhnlich. Abgesehen von ein paar auffälligeren Eigenkreationen (die in letzter Zeit immer weniger zu sehen sind): Durchtrainierter Körper, die Kleidung casual bis sportlich-elegant und manchmal der bei Jungen zur Zeit beliebte Irokesenhaarschnitt.