Vor zehn Jahren arbeitete ich zusammen mit Regisseurin Martina Egi am Dokumentarfilm «Yehudi Menuhin – Die Schweizer Jahre». Bei den Recherchen im Saanenland erzählte mir ein Einheimischer, dass Yehudi Menuhin 1976 in der Kirche Saanen mehrere Konzerte integral aufzeichnen liess. Meine Neugier war geweckt. Doch erst ein Zufall brachte mich einen Schritt weiter.
Wenn verhandeln nichts bringt
Als ich den Tessiner Regisseur Gianni Paggi für eine Dokumentation traf, kam die Rede auf das Filmprojekt über Yehudi Menuhin. Paggi erinnerte sich sofort an die Aufnahmen in Saanen – das war eine seiner frühen Regiearbeiten, die er für die Tessiner Produktionsfirma Polivideo ausgeführt hatte.
Über eine Adresse in Rom konnten wir Kontakt zu Polivideo herstellen. Doch hier endete das Glück fürs erste. Trotz intensivsten Verhandlungen kamen wir nicht weiter. Weder wussten wir mit Sicherheit, ob die Bänder wirklich noch existierten, noch wo sie sich befanden. Ich musste von der Idee Abschied nehmen, diese verlorenen Konzertaufnahmen für unseren Dokumentarfilm rechtzeitig erschliessen zu können.
Im letzten Moment gerettet
Vier Jahre später – der Dokumentarfilm über Menuhins Schweizer Jahre war längst erschienen – erinnerte ich mich an die Geschichte. Im Sommer 2010 kontaktierte ich Yehudi Menuhins Sohn Gerard und bat ihn, sich der Sache anzunehmen. Gemeinsam kontaktierten wir Polivideo erneut. Nach diversen Nachfragen erhielten wir tatsächlich eine Liste von sechs noch bestehenden Bändern, die in Locarno lagerten.
Allerdings verlangte Polivideo einen überrissenen Preis für die Bänder. Dabei war völlig unklar, ob sich nicht schon die Beschichtung gelöst hatte und die Aufnahmen unwiederbringlich verloren waren. Schliesslich einigten sich Polivideo und Familie Menuhin finanziell. Kurz danach wurde die Firma aufgelöst. Hätten wir nicht rechtzeitig gehandelt, wären die Bänder wohl endgültig verloren gewesen.
In Geduld üben
Der nächste Schritt führte zu Alain Schafer. Er war der einzige Techniker in der Schweiz, der sich noch auf die Überspielung von 2-Zoll-Maz-Bändern verstand, auf denen das Menuhin-Material aufgezeichnet worden war. Auch er erinnerte sich lebhaft an die Filmaufnahmen in Saanen. Als junger Techniker war er damals bei der Aufzeichnung dabei gewesen. Sein Name erscheint – falsch geschrieben – im Abspann.
Ein erster Test der Bänder war sehr vielversprechend. Leider wurde Schafer krank und die Arbeiten ruhten für längere Zeit. Wir mussten uns in Geduld üben. Alain Schafer hielt uns lange hin. Es fehlten Abtastköpfe für die 2-Zoll-Maz-Maschine, die längst nicht mehr hergestellt wurden. Ersatz musste auf äusserst verschlungenen Wegen entweder in Tschechien, Mexiko oder sonst wo beschaffen werden.
Eine Technikerin aus England hilft
Irgendwann riss uns der Geduldsfaden und wir holten uns die unbearbeiteten Bänder zurück. Es gab einen Hoffnungsschimmer in der Westschweiz. Dort, so hatten wir gehört, stünden noch zwei jener Monstermaschinen, die für die Überspielung notwendig waren. Unser Pech: Der Eigentümer hatte sie inzwischen in die USA verkauft.
Wir suchten weiter im Ausland: Kein Erfolg in Deutschland, selbst das deutsche Filmarchiv in Berlin war ratlos. Als Optionen blieben Frankreich oder England. Wir entschieden uns für England, wo wir eine engagierte Technikerin fanden. Sie holte das Optimum aus den alten Bändern heraus.
Sechs Jahre dauerte die Rettung der verlorenen Menuhin-Bänder. Gerade rechtzeitig zum 100. Geburtstag von Yehudi Menuhin liegen sie jetzt vor. Erstmals kann das Publikum diese beinahe verlorenen, einzigartigen Konzertaufnahmen mit Yehudi Menuhin in der Kirche Saanen sehen.