Eine Stradivari für alle. Nichts weniger als das versprach die Empa (Eidgenössische Materialprüfungs-Forschungsanstalt) in ihrer Medienmitteilung von 2011. Mit Hilfe eines Fäulnispilzes, der bestimmte Strukturen im Fichtenholz abbaut, gelang es, Holz mit hervorragenden Klangeigenschaften herzustellen. Der Forscher Francis Schwarze hat zusammen mit dem Geigenbauer Michael A. Baumgartner eine Biotech-Geige entwickelt, die im Blindtest gegen eine Stradivari gewinnt.
Auch eine unechte Stradivari überzeugt. So ein Instrument, das 1998 für 2,5 Mio Franken den Besitzer wechseln sollte und im Zuge des Handels von Experten als zusammengesetzte Geige mit französischer Decke identifiziert wurde. Das fragliche Instrument wurde allerdings klaglos von herausragenden Geigern gespielt, so von Mischa Elman, dem Lyriker unter den Virtuosen, der für seine Bandbreite an Klangfarben berühmt war.
Die Frau als Geige
Eine Geige von Stradivari weckt das Begehren und bedient die Sehnsucht. Die Geige ist zum Objekt geworden, das mit Fantasien besetzt wird: Sie steht für Perfektion, Schönheit, Ewigkeit – entgegen unserer mit Mängeln bedachten Existenz. Einer Diva ähnlich sind die Geige und ihr Körper zur Ware geworden: einzigartig, unnachahmbar, entfremdet von ihrer eigentlichen Bestimmung als Werkzeug.
Wie Geige und Weiblichkeit zusammenhängen, inwieweit die Erfindung der Geige im 16. Jahrhundert und ihre Rezeption gesellschaftlich geprägt ist, hat man bis heute kaum untersucht. Eines der berühmtesten Fotos des 20. Jahrhunderts, «Le Violon d’Ingres von Man Ray», spricht Unmissverständliches aus: Es zeigt einen nackten weiblichen Rücken mit aufgesetzten F-Löchern.
«Die Frau als Geige – die Geige als Frau – die Botschaft ist dieselbe: die Geige auf Flügeln des Gesanges», schreibt David Schoenbaum in seiner eben auf Deutsch erschienenen Kulturgeschichte der Violine.
Auch die Figur des Kapitän Macheath bedient dieses Bild im Vorläufer der Dreigroschenoper «The Beggar’s Opera» von John Gay. Danach hebe ein Weib einer Geige gleich «süss» die Stimmung hebe und schmeichle «süss unseren Ohren».
Lebens-, Liebes- und Todestrieb
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Form und Klang bedienen Männerphantasien, sichtbar auch in der Ikonographie des Instruments. Die Geige wird in der Kunstgeschichte, ähnlich der Frau, mit der Paarung von Eros und Thanatos gleichgesetzt.
Der Lebens- beziehungsweise Todestrieb des Objekts zieht sich durch die Darstellungen etwa von Hans Holbein des Jüngeren, Adolph-William Bouguereau und William Sidney Mount. Einmal fiedelt der Tod am Fusse des Bettes (Holbein), ein ander Mal der Engel vor Maria und Kind (Bouguereau), ein drittes Mal ein schwarzer Sklave vor weissen Feiernden (Mount).
Spitzeninstrumente einbalsamiert wie Mumien
Stradivari war ein Familienunternehmen, das einzelne Instrument ein Gemeinschaftswerk. Vater, Söhne und vielleicht auch Töchter haben ihren Beitrag an die handwerkliche Exzellenz geleistet. Sie verfertigten eine vergleichsweise kleine Zahl von Spitzeninstrumenten für eine ebensolche Elite.
Davon sind heute um die 620 Geigen erhalten. Schätzungsweise die Hälfte der Instrumente ist inzwischen verstummt und überwintert in Vitrinen und Safes rund um die Welt.
Die stillgelegten Geigen gleichen einbalsamierten Mumien und erinnern an einen Kunstgriff Sarah Bernhardts. Sie soll ja auf ihre Zeitgenossen ähnlich betörend gewirkt haben wie eine Stradivari. Die legendäre Schauspielerin liess sich lebendig in einem Sarg fotografieren, mit Lilien bedeckt, und schickte dieses Foto an ihre Verehrer. Gut, dass die Stradivaris im Umlauf sind, noch besser, wenn sie die Besitzer in begnadete Hände geben.