Wo immer ich Nikolaus Harnoncourt auch begegnete – seine Frau Alice war stets an seiner Seite. Zwar hielt sie sich meist still im Hintergrund. Doch offensichtlich war sie für ihren Mann im wörtlichen Sinn unentbehrlich. Ebenso für Journalisten: Nicht selten schien sie zu entscheiden, ob ein Interview zustande kam und wie lange es dauern sollte. In Zürich spielte sie bei den Violinen mit, wann immer ihr Mann dirigierte.
Es mag vielleicht nur eine Illusion gewesen sein: Aber auch bei jener öffentlichen Probe von Monteverdis «Orfeo» im Opernhaus Zürich – bei der Produktion, mit der 1975 «alles» begann – sah ich Alice Harnoncourt im hochgefahrenen Orchestergraben. Mittendrin stand ein österreichisch sprechender Musiker, der sich je länger umso mehr in ein mitreissendes Feuer hineinredete.
Mit einem Satz den Chor auf Trab bringen
Feurig und fordernd waren auch die Aufführungen der Monteverdi-Opern, von denen ich nie genug bekam: Als der Chor einmal deutlich schleppt, springt Nikolaus Harnoncourt mit einem Satz in die Mitte des Orchestergrabens und bringt den Chor energisch auf Trab.
Hingegen schien es in Zürich – anders als etwa in Mailand – nicht nötig, unwillige Musiker mit dem Umschmeissen von Notenpulten zu disziplinieren. Obwohl Harnoncourt auch hier nicht zimperlich war. Als gegen Schluss einer Probe das Licht nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Orchestergraben erlosch, rief er in die Dunkelheit: «Ja lasst's mir doch gleich die Hosen runter!»
Er sprach prägnant und bildhaft über Musik
Um knackige Formulierungen war er sowieso nie verlegen. Anders als viele andere Dirigenten sprach er gerne, prägnant und bildhaft über Musik, über ihren Hintergrund und ihre Interpretation – das durfte ich über 30 Jahre hinweg in Gesprächen immer wieder erfahren.
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Anfänglich ging es dabei um Alte Musik. Nach Monteverdi, Biber und Bach kamen Beethoven und Brahms, danach erweiterte er sein Spektrum um Bartók und Berg. Als Journalist tat man gut daran, sich auf die Begegnungen mit Harnoncourt seriös vorzubereiten. Fragen, die auf einem wackligen Kenntnisstand gründeten, beantwortete er schon mal freundlich-maliziös mit einer pointierten Gegenfrage.
Wirklich ungehalten habe ich ihn nur einmal erlebt: nach einer Probe von Beethovens «Fidelio», die ihn offensichtlich mitgenommen hatte. Ich behauptete etwas kühn, die Handlung der Oper – eine Geschichte von bedingungsloser Gattenliebe – sei vielleicht doch etwas idealisiert und unrealistisch.
Gereizt antwortete Nikolaus Harnoncourt, er sehe überhaupt nicht, was daran unrealistisch sein solle. Ich konnte mir diesen Ausbruch damals nicht ganz erklären. Heute bin ich mir sicher, dass er an seine Frau Alice dachte.