Wie haben wir den bösen, schrötigen Endo Anaconda für seine wilden Galoppaden geliebt, grasgrün vor Neid, weil er doch nie altersmilde werden wollte, stets der unberechenbare wilde Has. Und nun das:
Link zur CD
«Ach Gott, wär het Erbarme / mit üs alte Partisane / Wirf es Schiit i d’Gluet, wenn i chume / Und wenn i gange, zünd e Cherze a» («Böses Alter»)
Anaconda beschwört das böse Alter, indem er sich virtuos im Floskelregister bedient. Und Schifer Schafers Gitarre, navigierend zwischen Edelriffs und Schrullen, hält ihn verlässlich auf Kurs. Und doch klingt es verflixt nach Altersklage, nach – wenn auch ironisch gebrochenem – Selbstporträt des gesundheitlich angeschlagenen Spätfünfzigers.
«Ein Lamento ist es vielleicht, aber kein hoffnungsloses. Man kann ja auch Kraft aus dem Raisonnieren schöpfen. Besser gut raisonniert, als schlecht gejubelt», grinst Anaconda, angesprochen auf die düstere Stimmung der CD. Die neuen Songs zeichnen beklemmende Skizzen einer eisigeren, einsameren Altersphase, lassen jedoch keine Zweifel aufkommen an seinen Trotz gegen den Lauf der Zeit. «Das Thema ist natürlich vielschichtiger. Unsere ganze Zivilisation steckt in einem bösen Alter.»
«Hänsel u Gretel lige dampfend i dr Pfanne / di chlyni Meerjungfrou isch e verdorbne Dorsch / u ds Goldeseli schysst Defizit / u ds Häppy Änd isch es Unglück / u d Wiehnacht wird abgseit / dr Joseph het alles gschtande / aber i gloube immer no a Märli / Tralali / Tralala» («Märli»)
Beissend und brilliant, wie der desillusionierte Berner Sarkastiker naive Idylliker verspottet. Keine Frage, Anaconda und seine Truppe wirken in diesem kalten Frühjahr 2013 alles andere als altersmüde. Eine derart solide handgemachte, schnörkellose CD kann sich nur erlauben, wer sein Potential noch im Schlaf auszuschöpfen weiss. Auch wenn sich der Has da und dort ein überraschendes Fischen im Tümpel der Banalitäten erlaubt (wie die «Silberfäden» im immer noch wilden Haar der einstigen Geliebten Elisabeth): Poetisch sind diese Lieder echt starker Tobak:
«Flüg mit mir / all inclusive / zu de letschte Primitive / dert sy si blutt u häppy / u nid so depressiv wie hie / stärbe glücklech a üsne Vire / bruuche ke Viagra / die gö jede Tag go jage / die hei jede Tag ä Stiife / rouke Gras ir Fridenspfiife» («Chlyni Wält»)
Meisterhaft bürstet Anaconda unsere liebgewonnenen Klischees so lange gegen den Strich, bis sie – wie der arme Joseph im «Märli» – alles über uns gestehen. Und gerade weil wir das Körnchen Wahrheit im gar nicht so stillen Sarkasmus des Hasen gut kennen: Ein bisschen ernst nehmen sollten wir das bissige Alters-Lamento des Anaconda dann doch. Das mit dem echt wilden Hasen haben wir ihm ja in seinen wüsten Rock’n’Roll-Jahren auch abgenommen. Fast schon Ehrensache.