Eine Woche nach Drehschluss des Dokumentarfilms «Morente - Flamenco und Picasso» von Regisseur Emilio R. Barrachin starb der grosse Enrique Morente. Kaum zu glauben, wenn man dem drallen, vitalen Mann im Film zuhört und zusieht. Der Film hätte sein Picasso-Projekt begleiten sollen und wurde durch den plötzlichen Tod zu seinem Andenken.
Hypnotischer Sog
Morente war keine spektakuläre Erscheinung. Seine Rock ’n’ Roll-Ausstrahlung, die ihm manche bescheinigen, ist eher diskret. Auch der Film ist nicht unbedingt dramatisch, sondern taucht vielmehr unaufgeregt in die archaische Klangwelt des Flamenco ein, in eine Musik von hypnotischer Schönheit.
Die Musik ist die Seele des Films. Sie lässt alles andere zweitrangig werden. Doch bei aller Bescheidenheit: Morente war, aus musikalischer Sicht, eine geradezu aufregende Erscheinung. Seine Lässigkeit, mit dem wuchtigen Erbe umzugehen, war gewagt, wenn nicht gar unverschämt. Doch jede Tradition braucht ihre Rebellen, um zu überleben. Erst werden sie verkannt als arme Verwirrte, später gefeiert als Helden.
Punkrock und Picasso
Morente war ein Rebell, ein Unruhestifter, und bekam dafür nicht nur Komplimente. Unverdrossen experimentierte er mit verschiedenen Stilen: Bulgarische Folklore, Hindu-Musik, Jazz, Songs von Ute Lemper. Legendär ist das Album «Omega», welches er Mitte der 90er-Jahre gemeinsam mit der andalusischen Punkband «Lagartija Nick» aufnahm. Die Songtexte stammen von Federico García Lorca und Leonard Cohen. Zu Beginn wollte diese Musik keiner, heute ist sie Kult.
Links
Für sein letztes Projekt vertonte Morente Texte von Pablo Picasso und schrieb mit «GuernIrak» ein Lied über dessen berühmtestes Gemälde. Der tiefe, ursprüngliche Gesang des Flamenco war die einzige Musikform, die Picasso gelten liess. Möglich, dass ihn, der immer werden wollte «wie ein Kind», jenes Ursprüngliche, Archaische am «cante jondo», dem tiefgehenden Flamenco-Gesang, reizte.
Das Leben feiern
Mit seinen Fusionen rüttelte auch Morente vehement am Klischee des Flamenco und trieb seine Entwicklung voran wie kaum ein anderer. Das wirkte avantgardistisch – stand schlussendlich aber nur konsequent in seiner Tradition. Denn den puren Flamenco hat es nie gegeben. Im Gegenteil, der Flamenco war schon immer ein gefrässiges Tier, das sich gierig alles einverleibte, was seinen Weg kreuzte: ausgehend von der Musik der Roma, über andalusische Folklore, bis hin zu arabisch-islamischen, jüdischen und maurischen Einflüssen. Eben diese unvergleichlich reiche Geschichte macht ihn so stark und verstörend.
Flamenco ist keine schnell konsumierbare Folklore, sondern drückt vielmehr Besessenheit, Hypnose und Enthusiasmus aus. In seinen besten Momenten packt er seine Zuhörer an einer Stelle, die oft verschüttet bleibt, und feiert das Leben.
Im Film «Morente - Flamenco und Picasso» geht insbesondere von den Frauen um Morente eine verstörend-schöne Kraft aus. Der Gesang seiner Töchter ist so stark und warm, dass er den ihres Vaters beinah in den Schatten stellt. Vor ein paar Jahren sang Estrella, Morentes ältere Tochter, für Pedro Almodóvar den Titelsong seines Filmes «Volver». Das ist Magie.