Nie klang Wüste einsamer als in Ry Cooders Adaption eines Blind-Willie-Johnson-Songs. Für Wim Wenders war Cooders Musik zu «Paris, Texas» (1984) so etwas wie poetische Andachtsmusik, ein Prinzip, das sich auch in den späteren Filmen des Düsseldorfer Autorenfilmers kongenial fortsetzte.
Musik als integraler Bestandteil eines Films
«Paris,Texas» wurde gleichzeitig mit der Kamera und der Bottleneck-Gitarre von Ry Cooder geboren. Nicht nur für Wenders, sondern auch für die Entwicklung der Filmmusik war die Begegnung mit dem Bluesgitarristen Ry Cooder bahnbrechend und wie geschaffen für das autonome Denken des Filmemachers.
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«Filmmusik für mich nicht etwas, das man hinterher nur darüberlegt, sondern integraler Bestandteil nicht nur der Filmsprache, sondern auch ganz oft des Themas eines Filmes», beschreibt Wim Wenders seinen Ansatz.
Ein Film, ein Instrument: die Bottleneck-Gitarre
Abseits vom Hollywood-Mainstream durchleuchtet Wim Wenders bis heute amerikanische Mythen und verknüpft amerikanische und europäische Filmtraditionen zu einem ganz eigenen Stil. Mit bildgewaltigen Landschaftspanoramen, imposanten Momenten grosser Ruhe und poetischen Reflexionen verdichtet Wenders Geschichten über einsame Menschen auf der Sinnsuche und ihre ganz eigene Realität.
Für «Paris,Texas» sollte nur ein einziges Instrument die Musik des Filmes kommentieren. Das erinnert sofort an Anton Karas und seine Zither im «Dritten Mann» und auch an die Miles-Davis-Trompete in Louis Malles «Fahrstuhl zum Schafott».
Wenders persönliche «Lebens-Plattenkiste»
Ob «Paris, Texas», Musik-Dokumentationen wie «Buena Vista Social Club» oder Filmessays wie jüngst über den brasilianischen Fotojournalisten Sebastião Salgados «Das Salz der Erde»: Wenders ist ein Film-Poet, der musikalischer Inspiration viel, wenn nicht überhaupt seine Liebe zum Film zu verdanken hat.
Wegweisend und mittlerweile eine tönende Ikone der Filmgeschichte ist sein Gesamtkunstwerk «Paris, Texas». Wenders durchstöberte für diesen Film seine ganz persönliche «Lebens-Plattenkiste».
Sinnbild für den einsamen Wolf
«Es hat viel mit meinem eigenen Musikgeschmack zu tun. Ich kannte und mochte die Bottleneck-Gitarre, seit sie zum ersten Mal auf Schallplatte auftauchte – das ist seit Ende der 1920er-Jahre, als Blind Willie Johnson sensationelle Soli auf der Bottleneck spielte. Ich hab immer gedacht, das müsste man doch mal auf einen Film drauf tun.»
Auch nach fast 30 Jahren hat dieser musikalische Geistesblitz nichts von seiner Sogkraft eingebüsst und wirkt immer noch so zwingend und bezaubernd wie damals. Wenn Harry Dean Stanton in «Paris, Texas» als einsamer Wolf durch die ausgeblichene texanische Wüstenlandschaft wandert, hören wir diesen lakonischen Gitarren-Sound, der von Weltschmerz und tiefer Einsamkeit erzählt.
«Das isses – so muss es sein.»
Damals war Ry Cooder und seine wehmütige, dem verblassten Western-Mythos nachtrauernde Bottleneck-Gitarre noch ein Geheimtipp für Bluesliebhaber wie Wim Wenders.
«Dann hab ich Ry Cooder kennengelernt und wusste, dass der das spielen konnte wie kein anderer und habe ihm dann den Film gezeigt. Ich habe – ohne dass er das wusste – auf einem Extraband zwei Solostücke mit Blind Willie Johnson drauf gelegt. Ry hat sich den Film angeguckt – alles ganz roh – plötzlich kam diese Gitarre und Ry sagte nur: Ja. Das isses – so muss es sein.»
Inspiration für andere Autorenfilmer
Das Beispiel machte Schule: Hunderte Filme anderer Autorenfilmer wurden dann so oder zumindest ähnlich gemacht. Fast alle Filme, die Wim Wenders nach «Paris, Texas» produziert hat, wurden ähnliche Kunstwerke, die exemplarisch vor Augen und Ohren führen, dass Musik eben mehr ist als nur ein Werkzeug.
Mit Hilfe der Musik können sich Drehbücher in starke Meisterwerke verwandeln. Wenders erklärt die Musik sogar zu seinem filmischen Komplizen, der nicht selten zum eigentlichen Helden wird – dem unsichtbaren Hauptdarsteller.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 14.8.2015, 17:45 Uhr