Es ist einsam und karg im nördlichsten Zipfel von Skandinavien. Hier leben die Samen, über vier Länder verstreut: Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Lange waren sie ein Volk von nomadisierenden Jägern, Fischern und Rentierzüchtern und ursprünglich eine schamanische Kultur. Da liegen die Wurzeln des Joik.
Joiken erzeugt Nähe
Beim Joiken singen die Samen nicht einfach berührende Lieder, sondern sie arbeiten stark mit der Vorstellungskraft: Sie joiken nicht über etwas, sie joiken etwas. Das heisst, sie holen sich beim Joiken etwas Bestimmtes ganz in die Nähe. Das kann ein Tier sein, ein Gegenstand oder eine Person. Für sie ist das Joiken auch ein Mittel, sich in der dünn besiedelten Region, in der sie leben, mit fernen Verwandten oder Freunden in Verbindung zu setzen oder sich an sie zu erinnern.
Fast alle haben einen persönlichen Joik bei den Samen. Wenn ein Kind geboren wird, bekommt es meistens von seinen Eltern einen geschenkt. Das sind nur ein paar Töne, eine Motivzelle, die im Laufe eines Lebens erweitert wird und wachsen kann, aber immer erkennbar bleibt. So hat jeder und jede eine individuelle musikalische Unterschrift. Bis über den Tod hinaus.
Ein einschneidendes Verbot
Gejoikt wurde früher traditionellerweise bei privaten Zusammenkünften, bei Festen oder bei schamanischen Trance-Zeremonien, manchmal mit einer Schamanentrommel als Begleitung. Allerdings nur bis ins 17. Jahrhundert. Dann begann die systematische Christianisierung der Samen. Fast alle Schamanentrommeln wurden vernichtet, viele Schamanen umgebracht und das Joiken verboten.
Beinahe 300 Jahre lang blieb der Joik dann unterdrückt. Erst in den 1970er-Jahren begann sich etwas zu ändern. Die Samen formierten sich in einer Art Unabhängigkeitsbewegung, forderten selbstbewusst wieder mehr Rechte. Im Zuge dieser neuen Identitätssuche kam es auch zu einem Revival des Joik. Er hatte als tiefes Symbol der Sami-Kultur irgendwie überlebt in der abgeschiedenen Natur.
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Wiederbelebung nach 300 Jahren
Pioniere wie Nils-Aslak Valkeapää nahmen die Joik-Tradition wieder auf. Zum Teil mussten sie sich mit alten Aufnahmen aus Radioarchiven behelfen und das Joiken statt von ihren Vätern und Grossmüttern nun halt vor dem Kassettengerät fast von Grund auf neu lernen. Auch die Sängerin Mari Boine besann sich Ende der 1980er-Jahre auf ihre Sami-Wurzeln und liess sich vom Joik inspirieren, was ihr zum internationalen Durchbruch verhalf.
Und in den 1990er-Jahren begannen Leute wie Wimme Saari zu experimentieren und Joiks mit harten elektronischen Beats zu unterlegen.
Daneben aber wurden Stimmen laut, die den Joik als etwas Ursprüngliches bewahren wollten. Sie sind etwa strikt dagegen, dass auf Bühnen gejoikt wird – weil das Joiken seit jeher nicht für Publikum gedacht sei, sondern Teil des samischen Alltags, etwas Privates sei. Die Haltungen dazu sind unterschiedlich. Nun bleibt abzuwarten, wohin diese Spaltung in der Joik-Szene führt. Die starken Stimmen werden wohl ihren Weg weiterhin finden.