Madonna singt unter Tränen «La vie en rose», Céline Dion «L'Hymne à l'amour». Die Hommagen nach den Pariser Attentaten vom 13. November legten es noch einmal an den Tag: Edith Piaf verkörpert den «Esprit de Paris» wie keine andere.
Eine Stimme, die sich hebt und hebt
Als «Stern, der sich in der nächtlichen Einsamkeit des Himmels von Frankreich verzehrt», beschrieb sie Jean Cocteau. Und wenn sie anhebe zu singen, bleibe nichts als ihr Blick, ihre blassen Hände – die Hände einer Eidechse aus den Ruinen, befand Cocteau – , ihre wächserne Stirn. Und diese Stimme, die sich hebt und hebt.
Edith Piaf war am 10. Oktober 1963 im südfranzösischen Grasse gestorben. Am 11., als man die Nachricht erfährt, schreibt Cocteau den Nachruf für seine Bühnen- und Lebensfreundin, spricht ihn am Radio ein, und stirbt seinerseits.
Der singende Spatz von der Strasse
Ihre Leidenschaft, ihre Selbstauflösung in der Kunst, ihre zerstörerischen Liebschaften prägen den Mythos der Piaf. Wie sie im ärmlichen Belleville zur Welt kam, auf der Pelerine eines Polizisten im kalten Kriegswinter 1915 (es gibt allerdings auch einen Eintrag im Geburtenbuch des Hôpital Tenon.)
Wie sie der Schaustellervater als kleines Kind in einem Bordell platzierte, wie sie es da gut hatte unter all den Damen mit dem grossen Herzen unter dem üppigen Décolleté. Wie sie als Halbwüchsige in den Quartierstrassen und Innenhöfen am Montmartre singend ihr Leben verdiente, bis sie der Variétékönig Louis Leplée entdeckte und die knapp einsfünfzig grosse Edith Gassion zur Piaf wurde, dem «Spatzen»: «Voici la môme Piaf».
Wie sie sich den Parisern in die Herzen sang und zahlreiche davon brach – und selbst meist eher zweifelhaften Galanen verfiel. Wie sie auf der Bühne Ausschau hielt nach den teuersten Juwelen im Saal, die ihr hübscher Geliebter den betreffenden Damen anschliessend abnahm, wie sie ihre Männer später aushielt. Wie sich eine ganze gierige Entourage um sie scharte. Wie sie sich als Kollaborateurin im Zweiten Weltkrieg die Sympathie vieler Franzosen verscherzte – bis heute.
Mit Tränen zum Glück
Wie sie sich verbrannte mit Morphium, Alkohol und in den Armen der Boxer und Künstler, Marcel Cerdan, Yves Montand, Eddie Constantine, Georges Moustaki, Charles Aznavour und zuletzt des eine Generation jüngeren Coiffeurs Théo Sarapo mit dem griechischen Engelsgesicht. Da kam es noch einmal zur Märchenhochzeit, in der orthodoxen Cathédrale Saint-Alexandre-Nevsky bei der Place des Ternes.
Sie war der festen Überzeugung, dass man sich wahres Glück nur mit Tränen erkaufen kann. Am Ende war sie gebrochen, schwer krank, konnte sich auch im Singen kaum noch aufraffen – und brachte das Chanson heraus, das zu ihrem berühmtesten wurde: «Non, je ne regrette rien». Und es klingt wie eine trotzig jubelnde Lebensbilanz, wenn sie darin schliesst: « … car ma vie, car mes joies, aujourd’hui, ça commence avec toi».
Doch der Tod verlief falsch. Nicht in der Provence, in Paris hätte sie sterben wollen. Also verbrachte sie Théo im Auto dahin; und machte ihren Tod erst da bekannt. Begraben ist sie auf dem Friedhof Père-Lachaise.