Eigentlich fuhr der US-amerikanische Blogger Christopher Kirkley nach Afrika wegen seiner Begeisterung für den Mali-Blues. Auf der Fahrt im Minibus in die nordmalische Wüstenstadt Kidal hörte er dann aber eine ganz andere Musik: Die Kakophonie aus regionalen Pophits, die aus den Handys seiner Mitfahrer an seine Ohren schallte.
Die Musik faszinierte ihn: «Das ist keine sanfte Weltmusik für westliche Ohren. Diese Musik nimmt internationale Trends auf und hat doch einen lokalen Sound», erklärt er rückblickend.
Bald tauscht Kirkley Tracks mit den Leuten in Kidal: Von seinem Computer auf ihre Handys, und von ihren Handys auf seine Harddisk. Er produziert die LPs «Music from Saharan Cellphones», heute zwei Kultplatten in der Bloggerszene. Promotion und Vertrieb laufen über seinen Blog «Sahelsounds».
MP3-Blogs: Alte Platten und quere Sounds
«Sahelsounds» ist einer von unzähligen MP3-Blogs im Internet. Sie tragen klingende Namen wie «Monrakplengthai» (bezaubernde Lieder Thailands), «Excavated Shellac» (ausgebaggerte Schellack-Platten), «Awesome Tapes from Africa» (Fantastische Kassetten aus Afrika) oder «Madtrotter-Treasure-Hunt» (Irrer Schatzjäger).
Die MP3-Blogger stöbern bei Strassenhändlern nach raren Kassetten, auf Flohmärkten nach Vinyl, und mit anderen Sammlern tauschen sie alte Schellackplatten.
Schellack lebt
Jonathan Ward kauft seine Schellackplatten für viel Geld, sie drohten heute in Vergessenheit zu geraten, sagt er: «In der Geschichte der Musikindustrie aber sind sie von grosser Bedeutung». Er schwärmt: «Schellackplatten sind schwer und brechen leicht. Dass sie die Zeit überlebt haben, grenzt an ein Wunder».
Die Blogger digitalisieren diese Tonträger, laden die Daten auf einen Online-Speicher, und von dort kann sie jedermann herunterladen – frei und franko.
Im Fokus stehen rare Tonträger, die entweder im Markt nicht mehr erhältlich sind oder aber von traditionellen Mainstream-Medien, nationalen Archiven oder der musikethnologischen Forschung ignoriert werden – und wurden: Funk aus Nigeria, Jazz aus Äthiopien, kubanische Musik aus dem Kongo oder Psychedelischer Rock aus der arabischen Welt, alles Zeugen früher Globalisierungsströme der 1960er und 70er Jahre. Oder regionale Popmusik: Der billig produzierte Handy-Pop aus Mali, der die Gesangsstimmen durch eine Autotune-Software jagt und manchmal wie Musik von einem anderen Stern klingt.
Der fiebrig schnelle Shangaan-Electro aus Südafrika oder die schrillen Keyboard-Ornamente des New Wave Dabké aus Syrien sind weitere Popmusikstile, die lange als Müll, Kitsch oder kulturell minderwertig abgetan wurden und jetzt dank MP3-Blogs massenhaft neue Hörer finden.
Während MP3-Blogging für viele Hobby bleibt, bauen andere damit Karrieren. Brian Shimkovitz vom Blog «Awesome Tapes from Africa» kaufte in Afrika Tausende von Kassetten und tritt heute als Kassetten-DJ in der ganzen Welt auf. Jonathan Ward von «Excavated Shellac» ist Herausgeber der 4CD Box «Opika Pende», einer Sammlung mit raren Schellackplatten aus Afrika, aufgenommen zwischen 1909 und 1960. Das Album ist für einen Grammy nominiert als bestes historisches Album von 2012.
Rechtliche und ethische Fragen
Musik Blogs Afrika
MP3-Blogging bringt aber auch Kritiker auf den Plan. Die grossen Massenspeicher, auf denen MP3-Blogs ihre Musik zum Download anbieten, werden immer wieder geschlossen - aufgrund gerichtlicher Verfügungen wegen Copyrights-Vergehen. Die Blogger verstehen diese Diskussionen um Urheberrechte nur bedingt: Erstens ist die Musik auf ihren Blogs meistens sonst nirgends erhältlich, und zweitens schätzten gerade die heute aktiven Nischenmusiker MP3-Blogs als effektive Promotionsplattformen.
Die meisten Blogger seien Männer, aus den USA und Europa, weiss und heterosexuell, schreibt Portia Seddon in einem wissenschaftlichen Artikel zu MP3-Blogs im Online Magazin «Norient». Kritiker setzen genau hier an: Das sei kultureller Postkolonialismus, neuzeitlicher Audio-Tourismus, oder gar akustischer Rassismus. Europäer und US-Amerikaner plünderten die Musik des Südens.
Die Blogger machen sich zu diesen Fragen durchaus ihre Gedanken. Nick Barbery von «Ghost Capital» sagt, er sei selbstkritisch, und diesen komplexen Fragen gegenüber auch unsicher. Letztlich wolle er aber schlicht neue Klänge aus fernen Ländern freilegen – ob das etwa unethisch sei? Barbery glaubt vielmehr, dass es nicht verboten sein dürfe, globale Musik zu suchen, sie zu erforschen und über sie zu diskutieren.