Julia Bendlin hört Serge Gainsbourg
Nur um das voraus zu schicken: ich hasse Liebeslieder. Aufrichtig!
Entweder sind sie doofer rosaroter Kitsch. Oder sie tun weh. Sehr. Man träumt mit ihnen von Flitterwochen in der finnischen Einöde – und plötzlich begleiten sie uns in die tiefschwarzen Abgründe zerstörter Träume.
Kanada im Sommer 2001: Eric, ein rauchender Québécois mit Dreitagebart, und ich im Auto, irgendwo in der Wildnis. Eine «Amour fou». Auch wenn man bedenkt, dass ich drei Monaten später wieder nach Europa zurückkehren würde.
Zur «Amour fou» gehörte es, permanent Serge Gainsbourg zu hören. Ich kannte vorher fast nix von dem französischen Krawall-Troubadouren. Aber ich habe eine Schwäche für Krawall, vor allem wenn er in bitterböse Ironie verpackt ist.
Es war das erste Mal, dass ich «Je suis venu te dire que je m’en vais» gehört habe. Was für ein frecher Song: die Frau im Hintergrund ausgiebigst schluchzen zu lassen, während der Mann sinngemäss singt: «Mädel, ich gehe, du warst einfach nicht gut genug».
Das war System bei Gainsbourg. Auch, dass er Jane Birkin immer die Songs über und für die anderen Frauen singen liess. «Je suis venu...» war für seine Exfrau (und «Je t’aime moi non plus» für die Bardot.
Ich wollte immer Jane Birkin sein. Die Frau, die den Wilden zähmt, die die Tränen der Verflossenen imitieren darf. Nun ...
Es kam anders. Als die Beziehung mit dem Québécois nach drei Jahren auseinander brach, habe ich geheult. Und «Je suis venu...» konnte ich Jahre lang nicht hören.
Jane Birkin hat auch das mit mehr Würde gemacht: Zwei Monate nach dem Tod Gainsbourgs, im Jahr 1991, sang sie «Je suis venu te dire que je m’en vais» live. Was für eine Hommage. Wie weh muss das wohl getan haben.
Richard Herold hört Guy Garvey
Er ist so etwas wie der Kuno Lauener der britischen Popmusik: Guy Garvey, Sänger der Band Elbow. Bärbeissiger Typ von nebenan und Experte für alles, was unmittelbar aus Bauch und Seele kommt.
Würde mich nicht verwundern, wenn ihm die britischen Frauenherzen nur so zufliegen ... Doch das ist eine andere Geschichte.
Der Song, der es mir so besonders angetan hat, ist von Guy Garveys vorzüglichem erstem Soloalbum «Courting The Squall», erschienen vergangenes Jahr, nach seinem 40. Geburtstag.
Er heisst «Electricity» und kommt daher als klassisches Duett mit der wunderbaren Jolie Holland. Von Garveys charakteristischer Stimme kann ich sowieso nie genug kriegen, sie ist fein und ausdrucksvoll zugleich und beschreibt hier eine Liebe auf Distanz, Tausende Kilometer voneinander entfernt.
Eine Million kleiner Worte sprudeln durchs Telefon, die samtene Stimme der Liebsten, hier ist Tag, bei ihr Nacht. Und alles nimmt man auf sich für die Liebe.
Garvey und Holland harmonieren prächtig. «It should be you and me in all the world», die ganze Welt sollte nur aus dir und mir bestehen: Eleganter kann für mich Liebessehnsucht nicht klingen.
Uta Kenter hört Kris Kristofferson
Nichts ist so wechselhaft wie das liebste Liebeslied. Je nach Aggregatszustand ist
es mal beschwingt und mal melancholisch. Vor allem aber ist es hoffnungslos
kitschig.
Mein derzeitiges, und immerwährendes Lieblingslied ist «The Promise» von Kris
Kristofferson.
«This is a song I wrote for my kids. And for their mamas», sagt Kristofferson im Intro des Songs. Ein Liebeslied an seine Kinder. Genau darum bleibt es mein Favorit. Im Song gibt es Zeilen, die rühren mich zutiefst.
«You gave me back my soul again by showin' me / The laughter and the wonder in your eyes», singt Kristofferson in der ersten Zeile. Eine Binsenweisheit für alle Eltern. Doch beim alten Haudegen Kristofferson, der sechs Kinder hat, klingt das doch überraschend.
Wenn er mit brüchiger Stimme singt «(You) saved me from the shuttered man I used to be», zeigt sich der Countrysänger und Schauspieler, dem Alkohol und
Frauengeschichten nicht fremd waren, von einer unvermuteten Seite.
Der Song
In der Mitte des Lieds gibt es ein Mundharmonika-Solo, das bei mir Erinnerungen an meine eigene Kindheit hochkommen lässt. Meine Mutter spielte mir
jeden Abend ein Schlaflied auf der Mundharmonika vor.
Beim Refrain schmelze ich vollends: «So darlin' when it’s time you can spread
your wings / And I’ll set you free / to fly away / and it’s ok.» So muss das sein,
davon bin ich überzeugt. Kinder sollen irgendwann ihre Flügel ausbreiten. Selber
fliegen. Und es ist okay, wenn sie davon fliegen.
Spätestens jetzt heule ich. Denn meine Kinder sind bereits ausgeflogen. Einmal
im Jahr sende ich ihnen diesen Song, den ich so mag. Ich bin sicher sie hören ihn
nie an – «And it’s ok».
Eva Wannenmacher hört Elvis Presley
Pah. Nur ein liebstes Liebeslied zu nennen, ist eine Zumutung. Und so mache ich mir die Aufgabe etwas lösbarer und zwinge mich, auf ein Lied aus den 1950er- und 1960er-Jahren zu fokussieren.
Das war die hohe Zeit des Autokinos – unser Drehort für den aktuellen «Kulturplatz» zum Thema Liebe. Da passt Elvis Presley mit seiner vor Gelatine triefenden Tolle bestens dazu. «Can't help falling in love with you» – mein liebstes Liebeslied!
Obwohl ich ja weiss, dass Elvis nur seine Mutter liebte, kann er mich mit seinem Lied verführen. Erst recht, wenn es in die einsame Natur hinaus schallt auf 1600 Metern.
Ein Maiensäss. Die Sonne schickt letzte Strahlen und es riecht nach selbst gesuchten Sommersteinpilzen, die sich auf dem Gasherd mit einer Zwiebel vereinigen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.