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Ein junger Mann spielt in einer Kirche Violine.
Legende: Er ist Teil des Barock-Booms im Tiefland von Bolivien: Violinist eines Jugendorchesters in der Kirche von Concepción. Peter W. Frey

Musik Wie die Barockmusik in den Dschungel kam

Am Rande des Urwalds in Bolivien ist ein einzigartiges kulturelles Erbe bis heute lebendig: Die Musik, welche die Jesuitenmissionare im 18. Jahrhundert aus Europa brachten. Zwei Schweizer spielen dabei eine zentrale Rolle – im Abstand von drei Jahrhunderten.

Nein, diese Töne erwartet man hier nicht, im abgelegenen Dorf Concepción am Rande des Urwalds im Tiefland des östlichen Boliviens: Musik aus der Barockzeit mischt sich ins laute Zirpen der Zikaden. Aus den offenen Fenstern der grossen Kirche klingen nach dem Einnachten Streichinstrumente und helle Stimmen von Kindern und Jugendlichen.

In einer üppig gestalteten und dekorierten Kirche singen Kinder in einem Chor.
Legende: Jugendchor in der Kirche von Concepción, begleitet vom Basler Barcokensemble Musica Firoita. Peter W. Frey

Von Baar nach Bolivien

Ein Chor und ein Orchester üben eine Messe ein. Geschrieben hat die Musik vor drei Jahrhunderten ein unbekannter Komponist. Musikwissenschaftler schliessen aber nicht aus, dass dieser «Anonymus» Martin Schmid hiess, Jesuitenpater war und aus Baar im Kanton Zug stammte.

Der Jesuitenorden war im 17. und 18. Jahrhundert besonders aktiv im heutigen Paraguay und im Tiefland von Bolivien. Die Missionare erkannten rasch die Musikbegeisterung und die aussergewöhnliche Musikalität der indigenen Bevölkerung und nutzten sie für die Vermittlung des christlichen Glaubens. Die geistliche Musik aus Europa wandelte sich in Südamerika unter dem Einfluss der Musiktradition der indigenen Bevölkerung zum «Missionsbarock».

Martin Schmid kam 1730 in die Chiquitania, in das Gebiet der Chiquitos-Indios. Er gründete Musikschulen, lehrte die indigene Bevölkerung Musikinstrumente zu bauen und komponierte selbst Musik. Martin Schmid war auch Architekt: Unter seiner Leitung entstanden in drei Missionsdörfern grosse Kirchen. Sie sind heute Teil des Weltkulturerbes der UNESCO.

«Er war ein Genie»

«Martin Schmid war ein Genie, ein edler, kreativer Mensch», ist der polnische Pater und Musikwissenschaftler Piotr Nawrot überzeugt. Er forscht in Bolivien seit mehr als zwanzig Jahren über die Musik der Jesuitenmissionen. Schmid habe die Kultur der Indios sehr gut verstanden und sei von ihren Fähigkeiten überzeugt gewesen: «Für mich ist Schmid der Michelangelo der Chiquitania».

Eine breite, turmlose Kirche mit
Legende: Unter der Leitung des Schweizers Martin Schmid gebaut: Die Missionskirche von Concepción im Osten Boliviens. Peter W. Frey

Schmids Tätigkeit kam 1767 zu einem abrupten Ende, als die Jesuiten aus Spanien und den Kolonien verbannt wurden. Doch die Musik aus den Missionen überlebte. Bis vor Kurzem spielten indigene Musiker in den Gottesdiensten Musik aus dieser Zeit nach Gehör. Die Fähigkeit des Notenlesens war schon vor Generationen verloren gegangen. Nicht verloren waren dagegen die Noten aus dieser Zeit. Es war nur nicht allgemein bekannt, wo sie sich befanden.

5000 Notenblätter gerettet

Erneut war es ein Schweizer, der sie wieder ans Tageslicht brachte: Der Architekt Hans Roth kam 1972 im Auftrag des Jesuitenordnes nach Bolivien. Er sollte die vom Zerfall bedrohten Missionskirchen retten. Bei der Restauration der Gotteshäuser kamen in Schränken in den Kirchen, aber auch in offenen Behältern, ungeordnet und verschmutzt, rund 5000 Notenblätter mit Musik aus dem 18. Jahrhundert zum Vorschein.

Zeichnung: Ein Mönch spielt Geige, aus dem Hintergrund eilen Indigene auf ihn zu.
Legende: Von Martin Schmid existieren nur Zeichnungen, die nach seinem Tod erschienen. Darstellung in einer Broschüre von 1926. zvg

Hans Roth erkannte den Wert der Partituren sofort. «Er hat sie sich quasi unter den Nagel gerissen und in sein Büro transportiert, damit sie nicht noch mehr Schaden leiden», erzählt sein Sohn Christian Roth. Unterdessen lagern die geretteten und restaurierten Partituren sicher im «Archivo Musical de Chiquitos» in Concepción. Die Partituren sind aber erst zu einem kleinen Teil bearbeitet. Musikwissenschaftler haben bisher nur rund 15 bis 20 Prozent neu herausgegeben und dabei fehlende Teile rekonstruiert. Auf den meisten Notenblättern steht kein Name. Für die Jesuiten stand die Lobpreisung Gottes im Vordergrund, nicht der Komponist.

Barock-Boom

Die Wiederentdeckung der Partituren hat im Tiefland von Bolivien zu einem neuen Boom der Barockmusik geführt. Alle zwei Jahre bringt ein internationales Festival Barockensembles aus der ganzen Welt – auch aus der Schweiz – nach Bolivien. Und vor allem: In den Missionsgemeinden sind Jugendorchester und -chöre entstanden, welche mit Begeisterung die Musik aus dem 18. Jahrhundert einüben und aufführen – wie in der Kirche von Concepción, am Rande des Urwalds.

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