Kaum jemand, der diesen Sound gehört hat, kriegt ihn wieder aus dem Kopf: Zögernd und verweht pumpt das Akkordeon. Lässt sich gerade so viel Zeit, dass man verwirrt aufhorcht. Und dann rattert der Zug los, mit brachialem Beat und einem schnarrenden Fretless Bass …
«It was a slow day, and the sun was beating on the soldiers by the side of the road» – dieser Song, «The Boy In The Bubble» , eröffnet Paul Simons Album «Graceland».
Auf ins Abenteuer: wegen einer Audiokassette
Der Anfang des Albums spiegelt seine Entstehung. Paul Simon, der neben «Simon & Garfunkel» auch als Solokünstler unterwegs war, erlag dem Zauber einer südafrikanischen Audiokassette, «Accordion Jive Hits». Keine Frage, er musste dahin, wo dieser «Township Jive» gemacht wurde, ins Land der Apartheid.
Wie würden die Ingredienzien miteinander reagieren, die vertrackt poetische Songkunst des New Yorkers mit den pulsierenden Sounds und den Stimmen aus dem Unrechtsstaat am Kap?
Sprungbrett und Befreiungsschlag
Für Paul Simon, der in einer kreativen und persönlichen Krise steckte, erwies sich das Projekt als künstlerischer Befreiungsschlag. Anschliessend ging er mit dem Kern der Studioband auf Tournee. Wer sonst hätte diese Grooves reproduzieren können, den magischen Bass von Bakithi Kumalo, die klingelnden Gitarrenriffs von Ray Phiri. Für diese Musiker und für den Chor «Ladysmith Black Mambazo» erwies sich «Graceland» als internationales Sprungbrett.
Erfolg inklusive Skandal
Doch zunächst erlebte Simon das, was heute ein Shitstorm genannt wird. Mit seiner Arbeit in Südafrika hatte er den Kulturboykott der Vereinten Nationen und des African National Congress (ANC) unterlaufen. Die Logik des ANC war einfach: Der Befreiung von Südafrika dient das Projekt nicht, also ist Simon nicht willkommen.
Für den Popstar selbst kam das Gewitter aus heiterem Himmel, hatten ihn doch seine Berater Harry Belafonte und der Exil-Südafrikaner Hugh Masekela ermuntert, seine Pläne zu realisieren.
Drei Jahrzehnte später erscheinen die Fakten in anderem Licht. Das rassistische Apartheid-Regime überlebte «Graceland» nur um wenige Jahre. Ob ihm die LP und ihr Erfolg sogar ein schnelleres Ende bescherte, bleibt reizvolle Spekulation.
Ein Album führt Welten zusammen
Simons Album, das sich bis heute mehr als 14 Millionen Mal verkauft hat, diente der südafrikanischen Musik und ihren Protagonisten als Podium.
Mit diesen Liedern und den Künstlern, die Simon auf der Tournee begleiteten, bekam das Publikum ein sinnliches Südafrika vorgeführt: eindrucksvolle Gesichter und Stimmen von Apartheid-Opfern, wie die der «Graceland»-Musiker oder die der Gaststars Miriam Makeba oder Hugh Masekela.
Ohne politische Interessenskonflikte im Hintergrund, fällt das Fazit zu «Graceland» heute leicht:
Die Absurdität der Rassentrennung wurde kaum je überzeugender bewiesen, als in diesem Album, das effektiv Welten zusammenführte. Und damit die Welt bewegte.