Am 1. November 1974 – zu Hochzeiten der Rockmusik – erscheint das Album «Autobahn» von Kraftwerk. Mit elektronischen Klängen und innovativen Produktionsmethoden läutet die Band eine neue Ära ein: die des Elektropop.
Revolutionär und zeitlos
Der Kulturjournalist und erklärter Kraftwerkfan Jan Reetze erlebt den Aufstieg der Band als Teenager hautnah mit: «Was die gemacht haben, war einfach komplett neu. Und irgendwie funktioniert es noch heute», so Reetze. «Autobahn» sei nach wie vor eines seiner Lieblingsalben. Nun hat er – 50 Jahre später – ein Buch über die Band geschrieben.
Kraftwerk ist das gemeinsame Projekt von Ralf Hütter und Florian Schneider, sie gründen die Band 1970 in Düsseldorf. Jan Reetze ist damals treuer Hörer der Sendung «das neue werk» im Norddeutschen Rundfunk. «Da gab es so ganz scharfe Elektronikmusik: Ligeti, Stockhausen, Nono. Aber das war alles sehr intellektuell und als 13-Jähriger hört man halt dann doch lieber Rockmusik.» Doch dann kam plötzlich Kraftwerk.
Anfänge im Krautrock
Für ihre erste LP «Kraftwerk» (1970) benutzt die Gruppe noch klassische Rockinstrumente: Schlagzeug, Gitarre, Bass, E-Piano – dazu verschiedene Orgeln, Geige und Flöte. Sie machen sogenannten «Krautrock»: experimentelle, improvisations-lastige Rockmusik. Den Synthesizer setzen sie zum ersten Mal 1973 auf dem dritten Kraftwerk-Album «Ralf und Florian» ein, bleiben aber nach wie vor akustisch und experimentell.
Ihr viertes Album «Autobahn» ist dann ein musikalischer Wendepunkt: Weg vom Krautrock hin zur elektronischen Band. Das Album und das gleichnamige Titelstück stürmen die Top 10 der internationalen Charts und Kraftwerk wird weltweit bekannt.
Zwar haben damals in Deutschland auch andere Bands, Künstler und Musikerinnen mit elektronischen Instrumenten experimentiert, aber oft in einem akademischen, intellektuellen Umfeld.
Kraftwerk nimmt hier für Reetze eine Ausnahmeposition ein: «Tangerine Dream oder Klaus Schulze machten auf Klängen basierende Musiken, die so meditativ-schwimmend waren». Die Kraftwerker hätten dagegen einen Weg gefunden, mit ihrer Musik Geschichten zu erzählen.
Akustisches Storytelling
In Kraftwerks Musik geht es um alltägliche Themen, die konkrete Assoziationen hervorrufen. Reetze nennt das in seinem Buch akustisches Storytelling.
In «Autobahn» erzählt die Band musikalisch von einer Autofahrt: Los geht’s mit einem Motorstart, die Flöte und Gitarre bringen die Sonne zum Glitzern. Rechts und links fahren Autos vorbei, der Synthesizer imitiert Motorgeräusche, mit dem E-Piano werden Hupen dargestellt. Dazu ein monotoner, fast hypnotischer Rhythmus.
Reetzes Buch zeigt auf, wie Kraftwerk mit «Autobahn» eine Brücke schlagen zwischen Avantgarde und Popmusik, Ernst und Unterhaltung.
Kraftwerk hat den Sound der elektronischen Musik in den Mainstream gebracht und so Musikgenres wie Synthiepop, New Wave oder auch Techno oder Hip-Hop nachhaltig geprägt. Bis heute hat das Stück seinen Platz in Kraftwerks Live-Repertoire. «Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n» – immer weiter.