Über 3000 Jodel-Melodien: So gross ist der Schatz der Naturjodelsammlung des Roothuus Gonten, dem Zentrum für Appenzeller und Toggenburger Volksmusik. Es sind Melodien, die von Jodlerin zu Jodler nur mündlich weitergegeben werden.
Doch wie können sich die Jodlerinnen und Jodler all diese Melodien merken? Eine Frage für die Wissenschaft: Kognitionswissenschafter Raymond Ammann und sein Team von der Hochschule Luzern suchten Antworten.
Es gibt nicht den einen Weg
Ihr Fazit: Jodlerinnen und Jodler wenden ganz unterschiedliche Erinnerungsstrategien an. Zum einen schaffe das kontinuierliche «Üben, Üben, Üben» feste Verbindungen im Gehirn.
Es funktioniere aber auch über assoziative Ketten, so Raymond Ammann: «Sie denken etwa an einen emotional wichtigen Moment in ihrem Leben, als die Melodie spielte.»
Die Melodie zerlegen
Generell hilft es, die Melodie in kleine Einheiten zu zerlegen – in Motive aus wenigen Tönen. Raymond Ammann erklärt das so: «Das ist dasselbe, wie wenn ich Ihnen eine Telefonnummer angebe. Dann sage ich auch nicht die zwölf Ziffern hintereinander auf, sondern setze die Nummer zusammen aus Gruppen von je zwei oder drei Ziffern.» So könne sich das Gehirn die Zahlenabfolge oder Melodie besser merken.
Eine Jodel-Starthilfe
Doch die Strategien helfen meist nur, um sich den Anfang einer Melodie zu merken.
Nach dieser Starthilfe orientieren sich Jodlerinnen und Jodler an den einfachen Strukturen des Gesangs: «Es gibt praktisch ein Grundgerüst der Struktur der Naturjodel in der Ostschweiz. Dieses muss verinnerlicht sein», so Raymond Ammann. Wenn man dieses Gerüst kennt, könne man auch zu unbekannten Melodien eine zweite Stimme singen oder sie mit Akkordtönen begleiten.
Die Jodel-Schwarmintelligenz
Mitjodeln ist also viel einfacher als vorjodeln. Das hat den Vorteil, dass Jodelvereine auf eine Art Schwarmintelligenz setzen können. Wenn bei fünf Mitgliedern alle den Anfang von je sechs verschiedenen Melodien kennen, umfasst das Repertoire des Vereins schon 30 Melodien.
Der Nordostschweizer Naturjodel ist also weit mehr als nur Volksmusik. Er veranschaulicht auf besondere Weise, welche kognitiven Prozesse zusammenspielen, wenn wir Melodien auswendig lernen.