Mit ihm verliert das Zürcher Opernhaus eine Legende: Der Dirigent Nello Santi ist im Alter von 88 Jahren verstorben. Seit über 60 Jahren war Nello Santi mit dem Opernhaus Zürich verbunden gewesen, so lange wie kein anderer Künstler in der Geschichte des Hauses.
Sein Debut hatte Santi als 20-Jähriger mit Verdis «Rigoletto» im italienischen Padua 1951. Es war der Grundstein für eine grosse Karriere, die ihn an die grössten Opernhäuser der Welt brachte. 1958 kam er an die Zürcher Oper.
Dort bekam er erst einen einmonatigen Vertrag. «Nach seiner zweiten Premiere aber war er schon Erster Kapellmeister», sagt SRF-Musikredaktor Florian Hauser. «Santis Talent sprach sich schnell herum. Auch andere grosse Opernhäuser fingen an, sich um ihn zu reissen: Covent Garden, die Wiener Staatsoper, die New Yorker Met.»
Nello «the rock» Santi
In Zürich leitete Nello Santi 94 Premieren, über tausendmal stand er im Orchestergraben, noch letztes Jahr dirigierte er eine Wiederaufnahme von «Lucia di Lammermoor» vor ausverkauftem Haus. Auch für kommende Saison 2020/21 waren Auftritte geplant. «Man muss fast sagen: Nello ‹the rock› Santi», sagt Hauser. «Er war ein Urgestein.»
Santis Besonderheiten? Seine Interpretationen der grossen italienischen Opern waren legendär. «Auch Gesang war ihm enorm wichtig – also im buchstäblichen Sinn. Die Sängerinnen und Sänger trug er auf Händen, damit sie der Emotionalität ihrer Rollen grössten Raum geben konnten», sagt Hauser.
Santi vermittelte ihnen ein Gefühl von Sicherheit. «Er hat mit ihnen geatmet, sie angestrahlt, wenn ihnen die heiklen Passagen gelungen sind – und Gesang war ihm auch im übertragenen Sinn wichtig: so wie er das Orchester dirigiert hat: ein grosser Strom und dennoch genauestens artikuliert.»
Die Biografie eines Talents
Santi kam 1931 im italienischen Adria, Venetien als Sohn einer Primarlehrerin und eines Kolonialwarenhändlers auf die Welt. Er lernte in kürzester Zeit Klavier und Geige, Bratsche, Trompete, Kontrabass. «Er war von Anfang an vom Opernbetrieb infiziert», sagt Hauser. «Sein erster Job: Souffleur im Opernhaus von Padua. Santi sprang ein, wenn ein Musiker ausfiel. Er konnte ohne Opernluft nicht atmen.»
Beeindruckende Persönlichkeit
Nicht nur dirigierte er alle Werke auswendig, er konnte bei Bedarf auch jede Partie selber singen, wenn mal eine Sängerin nicht an der Probe war. «Die Musik in einer Oper war ihm das Heiligste», sagt Hauser. «Das führte aber dazu, dass er reserviert war gegenüber den Regisseuren – aktualisierungsfreudige Regisseure nannte er Terroristen. Seiner Auffassung nach war es unnötig, ein Werk zu inszenieren.»
Geschadet hat es ihm nicht: Das Publikum liebte ihn – und eine Inszenierung konnte auch noch so verstaubt sein: musikalisch war es mit dem grossen Dirigenten immer ein Erlebnis. «Intensiv. Frisch. Differenziert. Und saftig. Er hat die viel beschworene Italianità verkörpert und gelebt, ohne sie zu zelebrieren.»
Für seine Verdienste im Schweizer Musikleben war Santi unter anderem mit der Hans-Georg-Nägeli-Medaille und dem STAB-Preis der Zürcher Stiftung für Abendländische Besinnung, ausgezeichnet worden: Der Staat Italien ehrte den Wahlschweizer mit dem Titel «Cavaliere».