Der Musiker und Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan hat ein neues Buch vorgelegt. In «Die Philosophie des modernen Songs» beschreibt er 66 seiner Lieblingslieder und denkt über das Wesen der populären Musik nach. Popmusikexperte und Kulturjournalist Eric Facon über einen Schmöker von ganz eigener Schönheit.
SRF: In «Die Philosophie des modernen Songs» ergründet Bob Dylan Songs anderer Künstlerinnen und Künstler, die ihn geprägt haben. Was sind das für Songs?
Eric Facon: Die Spannbreite ist riesig. Das Buch ist ein Songkatalog der letzten 100 Jahre und darüber hinaus.
Das geht von Liedern der US-amerikanischen Klassik aus der Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zu Pop-, Rock- und Countrysongs eines Hank Williams, von Judy Garland, The Clash und vielen anderen. Kaum jemandem wird jeder Song auf Anhieb vertraut sein.
Was erzählt er über die einzelnen Songs?
Dylan versucht eine Art poetische Beschreibung jedes Songs. Er schreibt über seine Gefühle dazu, liefert aber auch viele Informationen zum Umfeld des Songs, damit man ihn besser versteht.
All das tut er auf lockere Art und Weise. Und immer fragt man sich, in welcher Beziehung diese Lieder zu Bob Dylan selbst und zu seiner Kunst stehen.
Lässt Bob Dylan auch seine eigenen Werke einfliessen?
Nein, er bleibt bei den fremden Songs. Anderes muss man sich zusammenreimen. Das gilt ja bereits für den rätselhaften Titel «Die Philosophie des modernen Songs». In poetischen Chiffren erzählt Dylan aber viel über die Atmosphäre des Songs.
Dylan kann aber auch sehr deutlich werden. Über ein Antikriegslied aus der Zeit des Vietnamkriegs schreibt Dylan etwa: «Kriege brauchen eine deutliche Sprache.» Damit sagt er nichts anderes als: «Krieg ist einfach daneben.»
Stehen diese Essays alle für sich allein oder in Bezug zueinander?
Es ist ein Buch zum Schmökern. Man kann sich einen einzelnen Song auswählen und den Abschnitt darüber lesen. Ausserdem stellt Dylan fast 150 Fotografien zu den Texten hinzu. Sie stehen meist assoziativ neben den Songs und erweitern den Blick darauf.
Zum Beispiel, wenn neben einem Song über ein Paar ein Film-Still mit Richard Burton und Elizabeth Taylor abgebildet ist. Burton und Taylor waren bekanntlich im richtigen Leben wie im Film ein zerstrittenes Paar. Sie illustrieren entsprechend den Songinhalt, auch wenn der eigentlich nichts mit dem Filmpaar zu tun hat.
2016 gewann Bob Dylan den Literaturnobelpreis. Überzeugt das Buch auch aus literarischer Sicht?
Das kommt auf den Blickwinkel an. Ich erwarte von Bob Dylan weniger eine literarische Höchstleistung als vielmehr einen lakonischen Blick auf die Popgeschichte – und den bietet er. Dylan ist dabei informativ und hat seine ganz eigene Sprache.
Wenn er über Elvis Costellos «Pump It Up» schreibt – ein Song aus dem Jahr 1978, in dem es auch um Masturbation geht – klingt das so: «Der Song kommt auf glühenden Kohlen mit anzüglichen Blicken daher, mit himmlischer Propaganda und Verunglimpfungen, die man sowieso nicht versteht.»
Muss man eine Musikkennerin oder ein Bob-Dylan-Kenner sein, um dieses Buch zu verstehen?
Ein Dylan-Kenner muss man sicher nicht sein. Wer Fan von Bob Dylan ist, wird sich aber freuen, weil er mal wieder etwas von seinem Idol und dessen Ausblick auf die Welt hört und liest.
«Die Philosophie des modernen Songs» ist eine gute Einführung in die populäre Musik und zeigt, was man mit Songs machen und wie man sie empfinden kann. Insofern ist das Buch ein Steigbügel in die weite Welt der Popkultur.
Das Gespräch führte Tim Felchlin.