Bücher bis unter die Decke, Bücher links und rechts des Computers auf dem Schreibtisch, Bücher neben der Couch. Soweit stimmt das Klischee vom Geisteswissenschaftler, der in seiner Wohnung in Wien empfängt. Philipp Blom veröffentlicht in reger Folge sorgfältig recherchierte und leichtfüssig geschriebene Bücher über Kultur- und Zeitgeschichte.
Eingezwängt zwischen all den Büchern steht ein Klavier, daneben ein hoch gefahrener Notenständer. Darauf findet sich die aufgeschlagene Gesamtausgabe der Solomusik für Geige von Johann Sebastian Bach.
Leidenschaft als Inspiration
Philipp Blom wollte eigentlich Musiker werden. Seit seinem sechsten Lebensjahr spielt er Geige. Den Traum der Musik konnte er sich aber nicht verwirklichen – trotz «Geduld und Entschlossenheit».
Die Leidenschaft ist geblieben: Wann immer möglich nimmt Blom die Geige zur Hand. Glück ist, wenn beim Spielen die «Grenze zwischen Fleisch und Holz verschwindet».
Wer seine 300 Jahre alte namenlose Geige gebaut haben könnte, ist für einen Historiker eine naheliegende Frage. Sie wird für Blom zur Obsession. Er widmet ihr sein neues Buch «Eine italienische Reise».
Spurensuche bis Venedig
Die Recherche beginnt im Atelier eines bekannten Wiener Geigenbauers. Instrumente lassen sich «lesen», ihre handwerklichen Merkmale verraten oft Ursprung und Herkunft.
So auch Bloms Geige: Die Schnecke und der Schnitt der Ecken verweisen auf die traditionsreiche Geigenbauerstadt Füssen im Allgäu, der Lack jedoch und die flache Wölbung der Decke verraten Norditalien.
Blom folgt diesen Spuren von Füssen über die Alpen nach Venedig. Von Armut bedrohte Füssener Bauern, die im Winter zu «Akkordarbeitern» wurden, stellten schon im 15. Jahrhundert vorgefertigte Holzteile für Lauten her.
Wie die Auswanderer zu Geigenbauern wurden
Diese so genannten «Lautenspäne» waren die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung Füssens und generierten den Beruf des «Lautenträgers», der die kostbare Fracht über reissende Flüsse und vereiste Pässe nach Venedig schleppte.
Die Handelsmetropole und ihre konkurrierenden Opernhäuser gierten damals nach Instrumenten. In den Werkstätten Venedigs wurden qualifizierte Instrumentenbauer gebraucht. Viele kamen als Lehrlinge aus Füssen und ankerten in den Werkstätten anderer Auswanderer.
Wofür Migration auch stehen kann
So könnte eine Figur wie Hanns Kurz 1663 Füssen verlassen haben und in Venedig in die Dienste des berühmten Matteo Goffriller getreten sein. So jedenfalls erdenkt sich dies Blom in seinem Buch.
Er stiess auf den in Venedig dokumentierten Geigenbauer Zuanne Curci (vielleicht hergeleitet aus Hanns Kurz), von dem bis heute kein Instrument bekannt ist. Ausserdem weist Bloms Geige Ähnlichkeiten mit Instrumenten aus Goffrillers Werkstatt auf.
Blom belässt die Leerstellen dieser Spurensuche, vermählt Biografisches mit Autobiografischem und erzählt Kulturgeschichte als Zeitgeschichte. Dabei wird deutlich, wofür Migration auch stehen kann: für Innovation und wirtschaftlichen Aufschwung. Hanns bekam und nutzte seine Chance.