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Oper und Politik «Das Geile an der Oper ist, wie extrem sie auf Menschen wirkt»

Kann Oper heute noch politisch sein? Nicht nur der Schweizer Regie-Star Milo Rau hegt daran nicht die geringsten Zweifel. Über eine Gratwanderung mit langer Vorgeschichte.

Oper ist eine altehrwürdige Kunstform, die bis heute ihr Publikum findet. Hierzulande heisst das: Menschen zahlen teure Tickets, ziehen sich schick an, trinken «Cüpli» in der Pause und diskutieren, wer am besten gesungen hat.

Das Ganze mag wie eine abgeschlossene Blase wirken: hier das glitzernde Opernhaus, draussen die anstrengende Welt. Aber so ist es nicht. Oper war schon immer mit dem gesellschaftspolitischen Geschehen verbunden. War und ist dessen Spiegel, Kommentar und Katalysator.

Ein Fall für die Anwälte

Einer, der Oper und Gesellschaft eng zusammendenkt, ist der Schweizer Regisseur Milo Rau. In Genf hat er 2024 die Oper «Justice» des spanischen Komponisten Hector Parrà inszeniert. Zusammen entwickelten sie ein Stück über ein Tanklaster-Unglück in Kongo 2019, bei dem durch auslaufende Säure 30 Menschen starben. Hinter dem Unglück: der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore.

Mann in einer Massenszene auf einer Opernbühne.
Legende: Hier werden die Machenschaften einer Rohstofffirma zum Opernstoff: Milo Rau zeigt mit «Justice» nicht zum ersten Mal, was er unter politischer Oper versteht. GTG

«Es gab damals einen Prozess», sagt Milo Rau. «Aber weil die Verantwortungsdiffusion in diesen globalen Firmen so komplex ist, konnte Glencore nie zur Rechenschaft gezogen werden.» Darum schloss Rau an die Oper eine Kampagne an, um damit Anwälte zu bezahlen, die sich des Falls annehmen.

Ran an die Reichen

Oper kann so, indirekt über Anwälte und Gerichtsverfahren, also sehr wohl in die Gesellschaft hineinwirken. Aber direkt? Also wenn wir, das Publikum, im rotsamtenen Sessel sitzen, über uns Kronleuchter, Goldstuck, Luxus? Ja, sagt Rau, auch so. Denn die Wirkungsmacht des Gefühls dürfe man nicht unterschätzen. «Das Geile an der Oper ist, wie extrem diese Musik auf die Menschen wirkt.»

Und, so Rau, im Opernhaus erreiche man direkt die besitzende Klasse, weil Opernkarten in der Regel recht teuer sind. Diejenigen Leute also werden mit einer sozialkritischen Inszenierung wie «Justice» angesprochen, die von eben diesem Geld profitieren, um das es in der Oper geht. «Was ist der Preis für unseren Reichtum? Das fragen wir. Ein Reichtum, der ja eben gerade diese wunderbare Kunst, die Oper, finanziert.»

Als es Josef Stalin zu bunt wurde

Eine Wechselwirkung ist da zu beobachten. Eine Gratwanderung, sagt der Musikwissenschaftler Anselm Gerhard. Für Oper brauche es Infrastruktur und finanzielle Ressourcen. Und die kommen vom Staat «Insofern kann ein Opernkomponist nie staatsfern schreiben. Weil er die staatliche Infrastruktur braucht.» Er oder sie könne schon kritisch sein, in Zwischentönen. «Aber um den Auftraggeber kommt keiner herum.»

Ein Mann mit Brill am Klavier.
Legende: Über seine «Lady Macbeth» war Josef Stalin alles anderes als «amused»: Dmitri Schostakowitsch – hier auf einer Aufnahme um 1954. Getty Images / Ullstein Bild

Im besten Falle mischt sich der Staat nicht ein, wirkt im Hintergrund. Im schlimmsten Fall aber sehr wohl. Dies passierte dem sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch mit seiner Oper «Lady Macbeth von Mzensk». Eine zerrüttete Ehe auf der Bühne, Mord und mit Musik deutlich untermalter, heftiger Sex: Das missfiel dem Regierungschef Josef Stalin. Zwei Tage nach der Aufführung erschien ein Zeitungsartikel: Das sei keine Musik, sondern Chaos. Der zuvor gefeierte Komponist Dmitri Schostakowitsch fiel in Ungnade.

Oper, die 400 Jahre alte Kunstform kann in die Gesellschaft wirken und umgekehrt wirkt die Gesellschaft in die Oper hinein. Immer.

Radio SRF 2 Kultur, Passage, 18.1.2025, 20:00 Uhr

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