Er ist wie eine dunkle, geheime Höhle, die sich vor der hell erleuchteten Opernbühne auftut: der Orchestergraben. Hier entsteht die Musik zum Bühnengeschehen. Doch sehen kann man normalerweise nichts davon. Die Arbeit der Musikerinnen und Musiker ist für das Publikum unsichtbar.
Dem war nicht immer so. Noch zu Mozarts Zeiten sass das Orchester sichtbar vor der Bühne, auf derselben Höhe wie das Publikum.
Das unsichtbare Orchester
Erst Richard Wagner hat den Orchestergraben erfunden. In seinen Opern ist der Orchesterpart so dicht komponiert, dass die Sänger nicht mehr zu hören waren. Also musste das Orchester mit baulichen Massnahmen gedämpft werden – im Graben klingt es leiser. Seine Unsichtbarkeit stützte zudem Wagners ästhetische Vision der perfekten Illusion.
Doch wie sieht es im Graben während einer Opernaufführung aus? Und wie klingt eine Oper vom Orchestergraben aus?
Grabenbesuch mit Schutzausrüstung
In Basel kann das Publikum das nun selbst herausfinden. Bei ausgewählten Produktionen sind nämlich einige Plätze im Orchestergraben für das Publikum reserviert.
Dafür gibt es auch eine spezielle Ausstattung: Man erhält eine Partitur zum Mitlesen, einen Gehörschutz – falls es direkt neben den Musikern zu laut wird – und eine Flasche Wasser samt Telefonnummer für den Notfall.
Dann wird man persönlich nach unten begleitet. Die beiden Publikumsplätze sind direkt hinter den ersten Geigen, neben den Klarinetten und Flöten, mit freier Sicht auf den Dirigenten.
Die Akustik ist erstaunlich gut – nicht zu laut, aber doch so intensiv, dass man die Musik im ganzen Körper spürt. Alle Musiker sind hoch konzentriert. Niemand schaut während Spielpausen aufs Handy oder raschelt mit einem Bonbon-Papier. Es ist spannend, die Interaktion zwischen den Musikern zu beobachten: den Geigern auf die Finger zu schauen, in ihre Noten mit all den Notizen.
Reger Betrieb im Untergeschoss
Zuschauerin Tanja Ulaga schätzt das neue Angebot: «Besonders spannend finde ich es, den Dirigenten und seine Mimik zu beobachten – er singt fast mit den Sängerinnen und Sängern mit! Das ist anders als im Sinfoniekonzert, wo man den Dirigenten nur von hinten sieht.»
Doch es gibt nicht nur musikalische Einblicke: «Man sieht, wie Sänger von unten zur Bühne gelangen und wie Requisiten von der Bühne wegtransportiert und am Rand des Orchestergrabens zwischengelagert werden. Da ist schon einiges los da unten», so die Zuschauerin.
Unter Beobachtung
Trotz vorheriger Abstimmung beim Sinfonieorchester Basel sind nicht alle Musiker und Musikerinnen mit dem neuen Format warm geworden. Geiger Giuseppe Masini sagt nach der Vorstellung: «Ich fühle mich ein wenig beobachtet. Der Orchestergraben ist so etwas wie unsere Privatsphäre. Ich habe es lieber, wenn nur Musiker hier unten sind. Dann fühle ich mich freier.»
Das Projekt ist Teil der neuen Öffnungsstrategie des Intendanten Benedikt von Peter. Vor zwei Jahren ist er mit dem Anspruch angetreten, das Theater Basel zu einem Begegnungsort für alle zu machen.
Theater soll nahbarer werden
Seither ist das Foyer tagsüber ein öffentlicher Raum. Es gibt Inszenierungen, bei denen das Publikum auf der Bühne umherwandeln kann. Und nun wird auch der Orchestergraben zugänglich gemacht.
All diese Massnahmen machen das Theater nahbar und niederschwelliger. Wer weiss, welche geheimen Orte im Opernhaus dereinst noch für das Publikum geöffnet werden.