Wer kennt sie nicht, die ersten Takte von «Walk on the Wild Side»? Mit diesem Song hat sich Lou Reed schon in den 1970er-Jahren unsterblich gemacht. Mit einem Text, der mit seinen vielen sexuellen Anspielungen der damaligen Zeit weit voraus war.
Was dieser Riesen-Hit manchmal vergessen lässt: Lou Reed war in vielerlei Hinsicht progressiv: Er deutete quasi ständig aus einer künstlerischen Zukunft in die Gegenwart – gerne auch mit dem Mittelfinger.
Alte Lyrics mit aktuellen Themen
Lou Reeds Texte sind häufig voll von Homosexuellen, Transmenschen, Fetischisten und Prostituierten. Er hatte nie Hemmungen, auf die Doppelmoral der prüden US-amerikanischen Bürger zu zeigen und ihre geheimen Wünsche anzusprechen.
Und das in den 1960er und 1970er-Jahren. Also in einer Zeit, in der in den USA Sodomie (als Sammelbegriff für «sündiges Sexualverhalten») noch kurz zuvor ein Kapitalverbrechen war. Und Homosexualität noch lange unter Strafe stehen wird.
Ein Punk vor seiner Zeit
«The Velvet Underground», die Band um Lou Reed und John Cale, liebten provokative Auftritte. Nichts mit Love and Peace und Flower-Power. Harte und düstere Themen, und wilde Performances im Rahmen der Factory von Andy Warhol.
In der Zeit, in der die Hippie-Bewegung im vollen Gange war und die revolutionäre Jugend in bunten Kleidern die Welt umarmen wollte, bevorzugte Lou Reed schwarze Leder-Klamotten und trieb mit seiner Überheblichkeit alle Journalisten zur Verzweiflung.
Der Zwist mit Nico
«The Velvet Underground» hatte damals eine Frontfrau: Nico, aka Christa Päffgen, ein deutsches Supermodel, dessen stimmliches Talent umstritten war. Aber das machte nichts, alle wollten Nico sehen.
Sie war die Femme Fatale, die nicht nur verantwortlich war für eine der grössten Krisen in Lou Reeds Leben – sie liess ihn vor der versammelten Factory-Szene fallen und beschimpfte den Musiker – sondern auch den Dilettantismus des Punk-Rock vorwegnahm.
Er machte aus Lärm Musik
Mit seinem Solo-Album «Berlin» hatte Lou Reed keinen Erfolg. Was ihn so enttäuschte, dass er als Folge-Album etwas radikal Anderes produzierte – sei es aus Protest oder in genialer Weitsicht: Das Album «Metal Machine Music».
Eine Stunde lang nur Gitarren-Rückkoppelung, verzerrte-Soundflächen und Lärm: 1975 war dies pure Provokation. Gleichzeitig aber ein erster Vorläufer von musikalischen Bewegungen wie Industrial oder Noise.
Von Rock zu Rap
Nein, Lou Reed ist nicht der Erfinder des Rap. Aber in seiner Musik kamen «spoken words» schon sehr früh vor. Titel wie «The Black Angel’s Death Song» sind schon eine Art Sprechgesang. Und das war 1967.
In «The Gift» erzählt John Cale, der Mitbegründer von «The Velvet Undground», acht Minuten lang eine Kurzgeschichte von Lou Reed zu einem Rock-Soundtrack. Das war 1968, also zwei Jahre vor Gil-Scott Herons Debütalbum mit dem Song «Whitey on the Moon», der als einer der Vorläufer des Rap gilt.
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 26.03.2017.