SRF: Im Juni schlug eine Äusserung des deutschen Musikers Konstantin Wellen. Er sagte, Frauen würden in der elektronischen Musik gefördert, obwohl sie meist schlechter auflegen als Männer (siehe Box). Wie haben Sie diese Debatte erlebt?
Rosa Reitsamer: Das Vorurteil, dass Frauen schlechter auflegen können als Männer, müssen sich viele weibliche DJs in der Szene seit Jahren anhören.
Überraschend an der Debatte fand ich, dass sie ein Mann wie Konstantin so platt ausspricht, der das renommierte Label Giegling aus Weimar mitgegründet hat.
Die Elektro-Szene entwarf schon in den späten 1980-Jahren die Utopie, durch Sound Grenzen von Geschlecht, Ethnizität und Klasse zu überwinden. Warum haben sich das nicht erfüllt?
Das hat damit zu tun, dass die Strukturen der Gesellschaft von diesen Ansprüchen so weit entfernt sind – die Szene der elektronischen Musik spiegelt das.
Wenn ich schaue, wem die Clubs gehören, wer hinter den Plattentellern steht, wer die Bookings macht, sehe ich fast nur Männer. Wenn ich schaue, wer hinter der Bar steht, wer an der Garderobe arbeitet, wer die Flyer verteilt, dann sind es 50 Prozent Frauen. Mit so einer ungleichen Machtverteilung lassen sich keine Utopien verwirklichen.
Es gibt auf jeden Fall mehr weibliche DJs als die zehn Prozent, die in den Clubs und Festivals vertreten sind.
Beim Zürcher Club Hive sind unter 22 Resident DJs nur vier Frauen. Auf Anfrage sagt der Club, dass es allgemein zu wenig weibliche DJs gäbe und diese Zahlen seien einfach ein Abbild der Szene. Gibt es wirklich zu wenig weibliche DJs?
Es gibt auf jeden Fall mehr weibliche DJs als die zehn Prozent, die in den Clubs und Festivals vertreten sind. Frauen haben die Geschichte der elektronischen Musik von Anfang an mitgeprägt. Aber sie sind weniger sichtbar: Sie landen zum Beispiel selten in den Rankings der Musikmagazine, die meist von Männern gemacht werden.
Selbst wenn es so wäre, dass es prozentual weniger weibliche DJs gäbe, liegt das nicht daran, dass sie weniger Talent haben oder weniger gute Musik machen, wie das Konstantin behauptet. Es liegt an einer strukturellen Benachteiligung.
Sie haben zu DJ-Karrieren und Netzwerken geforscht. An welchem Punkt einer Laufbahn finden solche Benachteiligungen statt?
Das geht schon früh los. Wenn sich Mädchen überhaupt für das Auflegen oder die Produktion elektronischer Musik zu interessieren beginnen, werden viele darin nicht ermutigt. Oder ihnen wird eingeredet, dass sie nicht mit Technik umgehen können.
Aber auch wenn weibliche DJs in die Szene einsteigen wollen, erfahren sie Ausschlüsse – zum Beispiel, wenn es um die Verteilung von Residencies, den regelmässigen Auftritten in einem festen Club, geht.
Ich habe in meiner Forschung beobachtet, dass Männer technologisches Wissen, Kontakte und den Zugang zu Auftritten oft untereinander vergeben. Das ist typisch für informelle Netzwerke wie jene der elektronischen Musik, wo Frauen oft aussen vor bleiben.
Welche Wege finden weibliche DJs, sich ausserhalb dieser männlichen Kumpelgesellschaft bemerkbar zu machen?
Viele gründen eigene Clubs, veranstalten eigene Festivals wie Heroines of Sound in Berlin, oder sie vernetzen sich durch Plattformen wie female:pressure, Helvetiarockt oder Les Belles des Nuits (siehe Box).
Diese Netzwerke haben bereits viel bewirkt. Allein schon, weil weibliche DJs in diesen Strukturen nicht nach ihrem Aussehen, sondern nach ihrem Können beurteilt werden und so für junge Mädchen gleichgeschlechtliche Vorbilder schaffen.
Ich sehe aber noch eine andere Chance: Durch die Digitalisierung und die Möglichkeit, elektronische Musik über SoundCloud, YouTube oder Facebook zu promoten, können alte Machtstrukturen überwunden werden.
Das Gespräch führte Theresa Beyer.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 20.07.2017, 09:00 Uhr.