Es sprudelt nur so aus Rachel Harnisch heraus: Geschichten, Anekdoten, aber auch harsche Kritik am Opern- und Konzertbetrieb. Ein Betrieb, den sie 25 Jahre lang mitgemacht hat. Und dem sie nun den Rücken zugekehrt hat. Sie hat genug.
Da sei zum Beispiel dieses Vorsingen gewesen für Claudio Abbado, den «grössten Dirigenten der Welt», wie Harnisch sagt. Ihr Zug nach Salzburg sei verspätet gewesen, aufgrund eines Personenunfalls. «Ich hatte keine Zeit mehr, mich einzusingen», sagt sie: «Alles lief wie in Trance.»
Ich war nicht Rachel, sondern eine Sängerin, die ihre Arbeit verrichtet.
Ebenso ihr Gewinn am Belvedere-Wettbewerb, einem für Opernsänger und Opernsängerinnen wichtigen Wettbewerb, den Harnisch mit 19 Jahren gewann. «Ich hätte nie mit einem Gewinn gerechnet und habe schliesslich vier Preise bekommen.» Inklusive: ein Jahr an der Wiener Staatsoper.
Bloss ein Rädchen im Betrieb
Mit Abbado hat sie Konzerte gegeben in der Berliner Philharmonie. Mit 25 Jahren dort auf der Bühne zu stehen, sei ihr surreal vorgekommen. Die Zusammenarbeit mit dem 2014 verstorbenen Dirigenten ist dokumentiert: etwa in einer zart schwebenden Konzertarie «Vorrei spiegarvi» von Mozart. Rachel Harnischs Stimme: glasklar und dabei wunderschön warm.
Eine Stimme ohne Wenn und Aber – und so ging Harnisch auch ihre Arbeit auf der Opernbühne an: bedingungslos der Kunst, der Bedeutung, dem Inhalt gewidmet. Das kam nicht immer gut an. «Als Sängerin bist du ein Rädchen in einer grossen Maschinerie», sagt sie. Und sie hat bald erkennen müssen, dass der Druck in einer Opernproduktion nicht immer mit dem Kunstanspruch vereinbar ist.
Druck von allen Seiten
An gewissen Häusern stand sie erst bei der Aufführung zum ersten Mal auf der eigentlichen Bühne. Es wurde mit Pappkameraden geprobt, weil die Sängerstars nur für den Abend einflogen wurden. Oft erlebte sie auch, dass Dirigenten oder Regisseurinnen musikalisch nicht den Tiefgang hatten, den sie sich wünschte. Auch von vielen Intendanten und Intendantinnen fühlte sie sich von oben herab behandelt.
Es menschelt in der Oper, mehr als im Konzertbetrieb. Oper ist tatsächlich ein Räderwerk. Eines, das unter starkem Druck steht: finanziell und was Probenzeit sowie die hohen Erwartungen betrifft. In einem solchen Betrieb zu arbeiten, hält nur aus, wer mit einem dicken Fell ausgestattet ist.
Sexuelle Übergriffe gehörten dazu
Was Rachel in beiden erlebt hat, in der Oper wie im Konzert: sexuelle Übergriffigkeiten. Das sei «normal» gewesen. Es habe einfach «dazugehört». Allerdings ist sie – gewarnt durch die eigene, komplizierte Familiengeschichte – in solche Situationen als eine andere Person hineingegangen. «Ich war nicht Rachel, sondern eine Sängerin, die ihre Arbeit verrichtet», sagt sie. Das habe ihr die nötige Distanz gegeben.
Nach 25 Jahren grosser Erfolge, aber auch zermürbendem Ringen um die Kunst, hat sie nun genug. Statt auf den Bühnen von Berlin, Paris, München oder dem Opernhaus Zürich zu brillieren, vertieft sich Rachel Harnisch jetzt in ein Psychologiestudium.
Den «Menschen hinter der Bestie», so sagt sie, wolle sie kennenlernen. Die Oper mit all ihren Abgründen führt zwar in eine ähnliche Richtung: den Menschen besser verstehen. Aber vielleicht nur für uns Zuschauende und nicht für jemanden, der den Betrieb allzu genau von innen gesehen hat.