Gianandrea Noseda heisst der neue Chefdirigent des Opernhaus Zürich – der Italiener wird seinen Posten im Herbst 2021 antreten. Mit der Verpflichtung des Chefs des National Orchestra in Washington ist dem Intendanten Andreas Homoki ein fast schon kapitaler Schachzug gelungen.
Beethoven-Streaming für Millionen
Noseda ist seiner Assistenzzeit bei Valery Gergiev am Mariinski-Theater ständiger Gast in St. Petersburg. Schon vor 13 Jahren hat er mit dem BBC Philharmonic Orchestra einen Beethoven-Zyklus realisiert, der als Gratis-Download «The Beethoven Experience» ein Millionenpublikum begeisterte.
Noseda hat das Teatro Regio von Turin wieder zu internationaler Beachtung geführt und Anfang 2018 verkündet, dass er den Chefposten dort aufgeben will. Er ist gern gesehen an der Met in New York, beim London Philharmonic Orchestra, an der Mailänder Scala – und beim Verbier Festival.
«Ein Haus von absoluter Qualität»
Warum Zürich? «Carlos Kleiber hat immer wieder hier dirigiert, ebenso Nikolaus Harnoncourt, Franz Welser-Möst und Daniele Gatti, um nur die Namen der neueren Zeit zu nennen», sagt Gianandrea Noseda am Telefon in St. Petersburg.
«Sie alle haben sowohl Opern dirigiert als auch sinfonisch gearbeitet. Es handelt sich um ein Haus mit einem Ensemble, einem Chor, einem Orchester von absoluter Qualität», so Noseda.
Der Reiz des «Ring»
Dass Noseda Carlos Kleiber erwähnt, ist bezeichnend. Ein Jugend-Erlebnis in der Mailänder Scala, als er Kleiber am Pult erlebte, hat ihn geprägt – und den Berufswunsch des Dirigenten in ihm geweckt.
Nach Zürich lockt Noseda auch ein höchst appetitlicher Köder, den Intendant Andreas Homoki am Haken hatte. Noseda wurde angeboten, am Opernhaus den «Ring des Nibelungen» zu dirigieren: «Es wird mein erster ‹Ring› sein – und das an einer Oper im deutschen Sprachgebiet. Das ist eine sehr verlockende Gelegenheit.»
Funken, Flammen und Flair
Er werfe Flammenzeichen in die Reihen des Orchesters, befand die NZZ nach Gianandrea Nosedas Zürcher Debut im Februar 2016. Das Sinfoniekonzert des Italieners mit dem Flair für das russische Repertoire hatte überraschende Funken gezündet.
Noseda denkt gerne an die letzten beiden Saisons und seine weiteren Gastspiele in Zürich zurück: «Nach dem Sinfoniekonzert habe ich zwei Produktionen betreut: Verdis ‹Macbeth› war eine Wiederaufnahme, aber den ‹Feurigen Engel› von Prokofjev haben wir zusammen mit Regisseur Calixto Bieito von Grund auf erarbeitet.»
Konkurrenz belebt das Geschäft
Noseda hat also nichts falsch gemacht bisher in Zürich – im Gegenteil: Er verspricht den frischen Wind, die Energie, die das Haus brauchen wird, wenn auf dem anderen Ufer der Limmat die renovierte Tonhalle wieder bespielt wird.
Wird Noseda die Reihe der Sinfoniekonzerte und CD-Produktionen fortsetzen, die unter Fabio Luisi das Opernorchester neu gefordert hat? Also weiter daran arbeiten, die Philharmonia als zweites grosses Orchester in Zürich zu profilieren?
«Ich werde wie Fabio Luisi auch Sinfoniekonzerte dirigieren», sagt Noseda. «Die Konkurrenz soll den Orchestern helfen, sich gegenseitig in der Qualität zu steigern. Es sollte ein musikalischer Wettstreit sein, nicht ein Kampf, den man um jeden Preis gewinnen will.»
Warten auf Wagner
Richard Wagners Ring-Tetralogie ist es also, die ihn nach Zürich lockt. Wenn Gianandrea Noseda in Zürich zum ersten Mal das Rheingold dirigiert, wird er 57 Jahre alt sein.
Der Mann kann warten, er hat ein sicheres Timing, so scheint es. Und er hat von Beethoven bis Dallapiccola, von Mozart-Opern bis zu Mahler-Sinfonien einen gut sortierten und prall gefüllten Rucksack dabei.
Sendung: Radio SRF 4 News, Nachrichten, 2.7.2018, 15.00 Uhr.