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Der Pop-Star als Stellvertreter
Aus Kultur-Aktualität vom 06.03.2019. Bild: Getty Images / Michael Caulfield
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Stars und Skandale «Wir betrachten Popstars als Stellvertreter»

Der Dokumentarfilm «Leaving Neverland» hat eine hitzige Debatte über Michael Jackson ausgelöst. In dem neuen Film wird der «King of Pop» der Pädophilie beschuldigt – Jacksons Erben haben bereits gedroht, den TV-Sender zu verklagen, der «Leaving Neverland» ausstrahlte.

Stellt sich die Grundsatzfrage: Wie gehen wir damit um, wenn Stars nicht nur heldenhafte Seiten haben? Der Kulturwissenschaftler Stefan Krankenhagen über Stars und ihr Stellvertreter-Leben.

Stefan Krankenhagen

Kulturwissenschaftler

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Stefan Krankenhagen ist Professor für Kulturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Populäre Kultur an der Universität Hildesheim.

SRF: Pädophilie! Was bedeutet es für das Image eines Popstars, wenn solche Vorwürfe wie die gegen Michael Jackson laut werden?

Stefan Krankenhagen: Das Image eines Popstars besteht immer daraus, dass der private Raum Teil der öffentlichen Verhandlung wird. Dass das Private öffentlich begutachtet und kommentiert wird.

Stars bedienen gezielt dieses Interesse an privaten Details. Das heisst, Stars und Star-Figuren sind davon abhängig, dass wir als Konsumenten ihrer Star-Leistung immer auch etwas über ihr sogenannt privates Leben wissen.

Kulturschaffende aller Sparten geraten immer wieder in die öffentliche Diskussion. Weil sie etwas getan haben oder weil sie Eigenschaften haben, die den moralischen Vorstellungen unserer Gesellschaft widersprechen. Wie gehen wir damit um?

Wir betrachten Popstars als Stellvertreter. Michael Jackson und viele andere leben so etwas wie ein Stellvertreterleben, an dem die Gesellschaft darüber diskutiert, was es heute heisst, ein zeitgenössisches Leben mit all seinen Möglichkeiten und Schwierigkeiten zu leben.

Eine Anklage wegen Pädophilie braucht kein Star.

Im Fall Michael Jackson hat sich durch die ganze Karriere hindurch gezeigt: Die Ambivalenzen zwischen einem Männlich-Sein und Weiblich-Sein oder die Ambivalenzen, in den USA ein schwarzer Popstar zu sein, gehören zu etwas, das ganz zentral sein Popstar-Image ausmachten.

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Als Rezipienten der Popkultur können wir in diese Verhandlungen nicht nur hineinblicken. Sondern wir gestalten sie ganz zentral mit, indem wir eben bewerten, was wir daran mögen. Was wir davon halten.

Braucht eine Gesellschaft also den Star und auch seine Skandale, um über sich selbst nachzudenken?

Wir brauchen den Star als Stellverteter-Existenz. Der Star wiederum braucht den Skandal, weil der Skandal das Moment ist, an dem sich seine private Existenz scheinbar am authentischsten zeigt.

Der Begriff der Wahrheit greift hier nicht.

Hier gibt es natürlich haarfeine Grenzgänge. Eine Anklage wegen Pädophilie braucht kein Star. Aber einen guten Skandal im Sinne einer teuren Scheidung oder Alkoholsucht, am besten einer überstandenen mit einem euphorischen Neubeginn. Das ist selbstverständlich etwas, an dem die Gleichzeitigkeit von Fannähe zum Star und medialer Entfernung am deutlichsten wird.

Es ist nicht immer ersichtlich, wie ernstzunehmen die Vorwürfe sind, die bei so einem Skandal erhoben werden. Hat es überhaupt eine Bedeutung, ob etwas wahr ist?

Ich glaube, der Begriff der Wahrheit greift hier nicht. Ich möchte noch einmal drauf zurückkommen, dass das Star-Image ganz zentral darin besteht, dass das private Leben Teil der Leistung des Stars ist.

Es geht eben nicht nur darum, gut zu tanzen, hervorragend zu singen. Selbstverständlich, das ist ganz entscheidend – und Michael Jackson war da einer der Grössten überhaupt. Aber es geht auch ganz zentral um die Frage, wie ein Star sein Leben lebt.

Das Gespräch führte Alice Henkes.

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