Das Album, wie es als Tonträger auf Vinyl entstanden ist, wurde schon oft totgesagt. Schon mit dem Aufkommen der CD wurden Alben anders gehört, weil es nun einfacher war, einzelne Songs zu überspringen. Mit dem Aufkommen von Musikdownloads rückten Alben in den Hintergrund – zugunsten von einzelnen Songs. Und jetzt verstärken Musikstreamingdienste diesen Trend: Deren Nutzer hören vorwiegend einzelne Songs oder Playlists mit verschiedenen Künstlern.
Vinyl und Downloads
Gleichzeitig gibt es eine andere, gegenläufige Entwicklung: Der Verkauf von Vinyl-Alben steigt seit einigen Jahren wieder an – zwar auf tiefem Niveau, aber merklich. 2013 wurden in der Schweiz 50'000 Schallplatten verkauft – gegenüber 30'000 im Vorjahr. Vielleicht auch deshalb, weil Schallplatten den heutigen Hörerbedürfnissen entgegenkommen, indem sie der Vinyl-Scheibe meist einen Download-Code oder eine CD beilegen, damit die Käufer ihre Musik leicht auch auf MP3-Player und Smartphones bekommen.
Das Vinyl-Album hat sich schon mit dem Auftauchen der CD verändert: Alben sind heute oft auf CD-Länge ausgerichtet und passen damit meist nicht auf eine einzelne Schallplatte – heutige Vinyl-Liebhaber bekommen neue Musik deshalb oft auf zwei Platten und müssen deshalb beim Hören eines Albums die Platten mehrfach wenden und wechseln.
Schwindender Stellenwert
Ein Album zu hören ist heute also nicht mehr das gleiche wie zu seiner Blütezeit in den 70ern und 80ern. Und auch seinen einstigen Stellenwert hat es längst eingebüsst: «Dass das Album bereits ein Nischenprodukt ist, halte ich für eine Tatsache», sagt Markus Wicker, Musikjournalist und Redaktionsleiter «Musik und Events» bei SRF.
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Das Problem sei dabei, dass sich eine Kluft zwischen dem Aufnehmen und Hören der Musik auftue: Viele Bands konzipieren ihre Musik als Album, gehört werden aber einzelne Songs. Es gibt aber Aspekte von Musik, die nicht in einem einzelnen Lied erfasst werden können: «Die besten Alben der Geschichte hatten weniger mit einem festen Konzept zu tun als damit, dass sie eine besondere Phase eines Musikers dokumentieren», sagt Wicker.
Ein Album kann also die besondere Atmosphäre einer Studio-Session einfangen – eine kreative Phase eines Künstlers oder die Chemie zwischen einzelnen Musikern. Zu hören sei dies etwa auf «Exile on Main St.» von den Rolling Stones oder dem Album «Züri West» der gleichnamigen Band, sagt Wicker.
Wie eine Geschichte ohne Anfang und Ende
Anders als in einem einzelnen Song kann ein Künstler auf Albumlänge auch verschiedene Facetten zeigen, sagt Musikredaktor Dominique Iten von SRF Virus. Es gäbe Musik, die nur als Album funktioniert: «Von ‹Dark Side of the Moon› von Pink Floyd würde ich mir nie einen einzelne Songs anhören. Aber als Ganzes gehört ist es ein unglaublich starkes und ausdrucksvolles Album». Nur einen Song dieses Albums zu hören, sei wie wenn man eine Geschichte ohne Anfang und Ende liest.
Nur der Song bewegt die Masse
Wenn das Album weiter in der Nische verschwindet, geht folglich durchaus etwas verloren. Doch bisweilen wird das Album auch hochstilisiert und man vergisst dabei, dass es bereits in den 50er- und 60er-Jahren eine ähnliche Situation gab wie heute, sagt Iten: «Die Kunstform ‹Album› gibt es eigentlich erst seit den späten 70er-Jahren. Davor wurden nur Singles gemacht, die dann zusammengefasst auf ein Album kamen».
Auch der einzelne Song habe seine Stärken, sagt Markus Wicker: «Die Popmusik ist eine Geschichte von unerhörten Songs, weniger von unerhörten Alben». Einzelne Songs würden die Masse stärker bewegen und seien unvergesslicher als ganze Alben.
Eine Zukunft in der Nische
Dennoch: Wer ein Album kauft, drückt damit eine Wertschätzung aus und den Willen, mit Musik wieder liebevoller umzugehen, da sind sich Wicker und Iten einig. Viele Fans schätzen das Vinyl-Album, weil sie mit ihm die Musik greifbar wird: Ein Album kann man anfassen, anschauen, in ein Regal stellen oder gar an die Wand hängen.
Aus diesen Gründen wird das Album für Fans und Liebhaber auch in Zukunft bestehen bleiben – auch wenn es immer mehr ein Dasein als Nischenprodukt fristen wird.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 21.7.2014, 17:45 Uhr