Wer in Südkorea Star werden will, muss früh anfangen zu schuften: Mit zehn, zwölf Jahren geht es los. Die Jungen und Mädchen bewerben sich in Castings bei Plattenfirmen. Wer gut ist, kommt in ein Ausbildungsprogramm. Tanzen, Singen, Schauspielen, Probeaufnahmen – all das steht in der Popfabrik auf dem Stundenplan. Jeden Tag von früh morgens bis spät abends, oft 16 Stunden lang.
Schon während der Ausbildung würden den sogenannten Trainees strikte Vorgaben gemacht, sagt Isabelle Opitz, Chefredaktorin des deutschsprachigen K-Pop-Magazins K*Bang: «Manche Künstlerinnen und Künstler müssen Diät halten, weil sie laut Vertrag ein bestimmtes Gewicht halten müssen. Je nach Label und Vertrag ist auch festgeschrieben, wie viele Stunden sie pro Tag trainieren müssen.»
Liebesbeziehungen werden verheimlicht
Die Labels kontrollieren auch das Privatleben «ihrer» Stars. Zum Beispiel dürfen K-Pop-Idols niemanden daten, geschweige denn eine Beziehung eingehen. Selbst Stars, die Mitte 20 oder noch älter sind, dürfen bei vielen Labels offiziell keine Beziehung führen.
Wenn K-Pop-Stars doch notgedrungen eine Beziehung öffentlich machen oder gar heiraten, sind südkoreanische Fans oft erbost. Teilweise sind die Reaktionen so heftig, dass das Management die Sänger drängt, die Band zu verlassen.
Nicht nur die strikten Verhaltensvorschriften sind problematisch, auch die Bezahlung. Das Training in der Talentschmiede kostet – dieses Geld wollen die Plattenfirmen von den Künstlern zurückhaben. Bei unseriösen Labels, sagt K-Pop-Expertin Isabelle Opitz, sei es vorgekommen, dass Musiker jahrelang umsonst gearbeitet hätten.
Schon Jugendliche schuften wie Spitzenmanager
Fabian Kretschmer ist Journalist und hat lange als freischaffender Korrespondent aus Südkorea berichtet. Er ist überzeugt: Die Probleme im K-Pop wurzeln in der südkoreanischen Gesellschaft. Die jungen Leute stünden unter einem enormen Leistungsdruck: «Das ist wie ein Haifischbecken.»
Zuerst wollten es alle auf eine der renommierten Universitäten schaffen, später kämpfe man um die besten Jobs. Schon Jugendliche schufteten deshalb von früh bis spät – erst in der Schule, dann in Nachhilfe-Instituten. Spät abends müssten sie dann noch die Hausaufgaben erledigen. Zeit für Schlaf bleibe kaum: «Oberschüler schlafen pro Nacht maximal fünf Stunden, weil sie die ganze Zeit lernen. Sie tragen eine Arbeitslast wie in Europa Spitzenmanager», so Kretschmer.
Dieser Druck hat Folgen. Südkorea hat die zweithöchste Suizidrate unter den OECD-Staaten. Das liege auch daran, dass man nicht über psychische Probleme spreche: «Wer Depressionen hat, kann sich niemandem anvertrauen. Sich professionelle Hilfe zu holen, ist ein absolutes Tabu.»
Frauen müssen sexy aussehen und sich anpassen
Wie gross dieses Tabu ist, zeigt das Beispiel der K-Pop-Sängerin Sulli, die sich Mitte Oktober das Leben nahm. Sie war eine der wenigen, die offen über ihre Depressionen sprach. Vor allem online wurde sie dafür mit Hasskommentaren überschüttet. Sullis Beispiel zeigt noch etwas: wie patriarchal die südkoreanische Gesellschaft ist.
Sulli war Feministin, auf Instagram postete sie Fotos, auf denen sie ohne BH zu sehen ist – in Südkorea ein Skandal. Frauen allgemein und K-Pop-Sängerinnen im Besonderen sollen sexy aussehen, aber sich tugendhaft verhalten und bloss nicht aus der Norm ausscheren.
Langsam, sagt Kretschmer, fingen vor allem junge Leute an, Leistungsdruck und althergebrachte Erwartungen infrage zu stellen – ausgelöst auch durch die Suizide der K-Pop-Stars. «Das stösst etwas an in der südkoreanischen Gesellschaft. Die Jugendlichen sind sich dieser Probleme bewusst. Der Wandel wird dauern – aber er ist nicht aufzuhalten.»