Wie Millionen anderer Syrer ist Aeham Ahmad Flüchtling – aber im Unterschied zu vielen wurde er nicht durch den Krieg zum Flüchtling. Er ist als solcher geboren, als Palästinenser in Syrien.
Lebhafter Vorort
Der Grossvater von Aeham Ahmad floh 1948 aus Palästina nach Jarmuk, ins grösste Palästinenserlager in Syrien. Als Ahmad 1988 auf die Welt kommt, ist es längst kein Zeltlager mehr, sondern ein lebhafter Vorort im Süden von Damaskus.
Ahmads blinder Vater baut Instrumente und spielt Geige. So kommt Aeham Ahmad schon früh in Kontakt mit Musik, lernt von seinem Vater das Klavierspiel. Später studiert Ahmad in Homs Musikpädagogik.
Zwischen den Fronten
Als im Frühling 2011 der Bürgerkrieg in Syrien ausbricht, ist Aeham Ahmad mit seinem Studium fast fertig. Jarmuk gerät immer wieder zwischen die Fronten. Die Palästinenser kämpfen erst für Präsident Assad, dann gegen ihn.
Das Lager wird bombardiert, dann von der syrischen Armee abgeriegelt. Wer nicht fliehen kann, ist in einer Falle, praktisch ohne Wasser, Essen, Medizin und Strom.
Musik als Hoffnung
Aeham Ahmad will nicht fliehen. Er will der Zerstörung seine eigene Botschaft entgegensetzen: Musik.
Kurzerhand stellt er sein Klavier ins Freie – auch aus praktischen Gründen: «Ich habe keinen beleuchteten Raum gefunden, in dem ich hätte Klavier spielen können. Warum also nicht das Klavier auf die Strasse bringen?», erzählt er.
Auf einem Wagen rollt er sein verstimmtes Klavier auf die Strasse, spielt inmitten der zerbombten Häuser. «Es war eine verrückte Idee, um Hoffnung zu machen, um mit Hilfe der Musik die Realität zu verändern. Ich habe diese Idee immer gemocht. Anstatt einfach zu sterben, warte ich mit meiner Musik auf den Tod», sagt er.
Das Todeslager
Links zum Thema
Bald umringen ihn Kinder und singen zu seinen Liedern aus voller Kehle, lachen, wippen mit dem Kopf. Aeham Ahmad gründet eine Band mit Freunden und Nachbarn.
Im Film «Der Klavierspieler aus Jarmuk» ist zu sehen, wie sie auf der Strasse singen. In der Nähe fällt ein Schuss, einige drehen sich kurz um, singen weiter. Die Videos seiner Strassenkonzerte landen in den sozialen Netzwerken, machen ihn weltweit bekannt.
Als im Frühling 2015 die IS-Kämpfer in Jarmuk einmarschieren, riegelt Assad das Lager wieder ab, lässt Fassbomben abwerfen. Jarmuk wird wieder zur Kriegshölle, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon spricht von einem «Todeslager». Wo einst 150'000 Menschen lebten, harren nur noch wenige Tausende aus.
Flucht über das Meer und den Balkan
Aeham Ahmad gerät mit seinem Rollklavier und seinem Vater in eine IS-Kontrolle. Die Jihadisten überschütten das Klavier mit Benzin, zünden es an.
Der Vater antwortet geistesgegenwärtig, dass das Klavier ihm gehöre. Die beiden werden verschont. Denn mit einem alten Mann darf man barmherzig sein.
«Gott sei Dank bin ich nicht mit dem Klavier gestorben», sagt Ahmad später. Unterdessen denkt auch er an Flucht. Im August 2015 verlässt er mit seiner Frau und den beiden Kindern Damaskus. Als sie nicht mehr weiterkommen, flieht er ohne Familie, mit einem Schlauchboot über das Meer nach Lesbos, über die Balkanroute nach Deutschland.
Artikel zum Thema
Die Gedanken drehen sich
In Deutschland wohnt er in einer Flüchtlingsunterkunft. Aber man kennt seine Geschichte, lädt ihn ein für Konzerte, alle wollen ein Selfie mit ihm.
Er tritt auf mit Sportfreunde Stiller, Judith Holofernes und Herbert Grönemeyer. Er erhält den Beethovenpreis für Menschenrechte, trifft Joachim Gauck und Angela Merkel. Und seine Familie kann bereits ein Jahr später nachreisen.
Wieder spielt er mit einem Rollklavier auf der Strasse. Es ist in denselben Farben gestrichen wie sein Instrument in Syrien. Er will an die Menschen erinnern, die noch immer in Jarmuk gefangen sind.
Auch seine eigene Situation sieht er düster, trotz Star-Status: «Wir sind Flüchtlinge. Wir haben damals die Heimat verloren und sind nach Syrien geflüchtet. Heute sind wir Flüchtlinge in Deutschland. All unsere Gedanken drehen sich um die Existenz.»