Suzanne Vega, Singer-Songwriterin und singende Slampoetin, prägt das New Yorker Folk-Revival der 1980er-Jahre. Spätestens 1987 wird sie auch in der Schweiz bekannt – dank des Ohrwurmes «Luka» , der dazu führt, dass viele Kinder nach dem Protagonisten des Superhits benannt werden.
Was viele nicht wissen: «Luka» erzählt die Geschichte eines Jungen, der häusliche Gewalt erfährt. Warum schreckt die Musikerin vor solchen Themen nicht? Wir haben vor ihrem Konzert in Bern mit ihr darüber gesprochen.
SRF: «Luka» ist ein fröhlicher Song mit traurigem Inhalt. Haben Sie diesen Widerspruch absichtlich gewählt?
Suzanne Vega: Ja. Ich wollte keine traurig klingenden Akkorde. Es sollte nicht klingen wie «Mein Name ist Luka und es geht mir schlecht.» Das wäre mir zu pathetisch gewesen. Ich wollte vermitteln, dass dieser Junge alles gibt, um stark zu sein, und dass er stolz ist. Dass das Kind so tapfer ist, macht die Geschichte fast noch trauriger.
Damit brachten Sie in den 1980er-Jahren knallhart ein Tabuthema auf den Tisch. Haben Sie mitbekommen, was der Hit ausgelöst hat?
Ja. Ich bekam Briefe von jungen Leuten, die mir sagten, sie hätten «Luka» im Radio gehört und sich eingestehen können: «Das passiert auch mir.»
Der Song hätte ihnen Mut gemacht, darüber zu reden und einen Arzt zu kontaktieren. Ein Mädchen schrieb mir, der Song hätte ihr Leben gerettet, nachdem sie sich Hilfe geholt hatte und von ihrem Vater weggebracht wurde. Solche Geschichten berühren mich bis heute.
Sie beobachten Ihr Umfeld sehr genau und erwecken in Ihren Songs Szenerien wieder zum Leben. Schreiben Sie, um Erlebtes zu verarbeiten?
Ich schreibe über das, was raus muss. Manche fragen, ob das Schreiben für mich therapeutisch ist, aber das sehe ich nicht so. Ich würde mein Publikum niemals auf diese Weise benutzen. Es gibt Songs, die ich nur für mich schreibe und singe, um etwas zu verarbeiten. «Luka» war ursprünglich so ein privater Song. Dann wurde er aber sehr öffentlich. Das hat mich damals überrascht.
Ich will über die ganze Breite und Tiefe des Lebens schreiben.
In einem Ihrer Songs bezeichnen Sie sich als «poet of the dark». Woher kommt Ihre Vorliebe fürs Abgründige?
Ich wollte nie eine dieser Frauen sein, deren Lieder nur vom Liebesleben oder ihren Gefühlen handeln. Ich will über die ganze Breite und Tiefe des Lebens schreiben. Als ich jung war und gerade anfing, Songs zu schreiben, wollten die Leute immer wissen: Warum schreibst du über Themen wie Kindesmissbrauch?
Ich fühle mich zu Dingen hingezogen, die Teil des Lebens sind, über die aber niemand sprechen will. Deshalb wage ich mich in die dunklen Ecken der menschlichen Existenz. Weil sie da sind und eine Stimme verdienen.
Am 11. Juli 2024 sind Sie 65 Jahre alt geworden. In der Schweiz ist das das Alter, in dem die meisten in Pension gehen. Aber Ihr dichter Tourplan deutet darauf hin, dass Sie vorerst nicht vorhaben, sich zur Ruhe zu setzen?
Ganz im Gegenteil. Ich würde mir wünschen, ich hätte als junge Künstlerin schon machen können, was ich heute mache. Damals, als ich Millionen von Alben verkaufte, haben mich die Erwartungen der Menschen sehr eingeschüchtert. Jetzt fühle ich mich frei. Im Geiste, aber auch körperlich. Ich bin eine bessere Performerin. Und solange ich solche Freude empfinde und ein Publikum habe, möchte ich weiterhin auftreten.
Das Interview führte Annina Salis.