Wie ein Tiger läuft sie in der Künstlergarderobe hin und her, getrieben vom Adrenalin der Bühnenangst. Fieber habe sie, nein, so könne sie unmöglich spielen. Sagt sie, und geht doch schnellen Schrittes durch die dicke, schallgeschützte Tür, vom schummrigen Backstagebereich hinaus aufs gleissend helle Podium. Frenetischer Applaus begleitet sie. Und doch: Für Martha Argerich ist das ein Martyrium, das sie Konzerte immer wieder kurzfristig absagen lässt – auch heute noch, mit 75 Jahren.
Dabei ist die Argentinierin eine der ganz grossen Pianistinnen, bewundert und geachtet seit Jahrzehnten. Schon in ihren jungen Jahren verfügt ihr Ton über eine unnachahmliche Dringlichkeit. Ihr Anschlag ist eine Wucht, formt die Töne zu plastischen Gestalten. Technische Grenzen existieren bei ihr nicht, und die Poesie ihrer Melodien ist wild und überraschend – wie ihr Leben, das über Umwege, Gipfelstürme und auch mit Talfahrten verläuft.
Als dreifache Mutter auf Konzertreisen
Damals, als Argerich 24-jährig mit dem Sieg beim Chopin-Wettbewerb auf einen Schlag weltberühmt wurde, da hatte sie bereits eine Hochzeit und eine Scheidung hinter sich, sogar einen Sorgerechtsstreit um ihre erste Tochter – sie wächst fortan beim Vater auf. Es folgten zwei weitere Töchter; von ihren Vätern, Musiker auch sie, trennte sich die Mutter jeweils wieder. Ihre heiss geliebten Töchter wuchsen zwischen Üben und Konzertreisen bei ihr und mit ihr auf. Manchmal versteckten die Kinder den Pass unter dem Teppich, um die eine oder andere Konzertreise zu verhindern.
Eigentlich würde Martha Argerichs Lebensgeschichte Stoff für einen Roman hergeben. Oder für zwei, oder drei. Doch die öffentlichkeitsscheue Pianistin lässt kaum jemanden an sich heran.
Duett mit Thomas Gottschalk
Anders Cecilia Bartoli, die ebenfalls dieser Tage einen runden Geburtstag feiert – den fünfzigsten. Die italienische Mezzosopranistin kennt kaum Berührungsängste. Sie singt mit dem deutschen Spassvogel-Showmaster Thomas Gottschalk das Papageno-Papagena-Duett aus Mozarts Zauberflöte, sie erzählt in den TV-Morgensendungen geduldig von ihren neuesten CD-Projekten, sie lässt sich beim Schwimmen im Meer filmen und winkt in die Kamera: «Ciao a tutti!»
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Doch es wirkt nicht peinlich, denn Cecilia Bartoli verfügt über einen unnachahmlichen Charme. Ihre Augen funkeln stets mit den Scheinwerfern um die Wette – vor der Kamera und auf der Bühne.
Lebendige Koloraturmaschine
Wenn sie eine solche betritt, dann geschieht das ganz anders als bei Martha Argerich. Diese stürzt fast zu ihrem Zielpunkt, dem Flügel, setzt sich und spielt los – hinein in die rettende Musik. Cecilia Bartoli hingegen schlüpft mit dem ersten Schritt auf der Bühne in eine Rolle. In freudig-gespannter Erwartung, neugierig und voller Offenheit geht sie auf ihr Publikum zu – und legt los.
«Eine Koloraturmaschine», könnte man mit Thomas Bernhard über ihre makellose Technik sagen, wäre da nicht so viel Feuer in ihrem dunklen, kernigen Mezzosopran, mit dem sie von all den Gefühlsachterbahnen ihrer Opernheldinnen singt, als ginge es um ihr eigenes Leben.
Auf die Frage, ob sie eine Diva sei, antwortete sie einmal lachend: «Dafür habe ich keine Zeit.» Stattdessen jettet die Wahlschweizerin zwischen den grossen Opernbühnen dieser Welt hin und her, ist Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele und singt auch auf dem Festival ihrer Jubilarskollegin, dem «Progetto Martha Argerich».
Und auch wenn die beiden unterschiedlicher kaum sein könnten, eines eint sie doch: ein musikalisches Können, das nicht von dieser Welt zu sein scheint und verlässlich tumultuösen Jubel beim Publikum auslöst. Vielleicht ist es das, was eine Diva ausmacht.