Unterricht an der Hochschule der Künste. Neun Studierende haben sich mit Noten in der Hand am Flügel versammelt. Dozent Johannes Schlaefli nimmt sich einzelne Takte vor, stellt Fragen und gibt der Diskussion Raum.
Wie bewegt sich die Hand der Dirigentin? Was heisst das für die Musik?
Hier scheint die mediale Debatte über den Führungsstil von Daniel Barenboim weit weg. Der Berliner Stardirigent soll seine Macht systematisch ausgenutzt haben.
Neue Zeiten brechen an
Entsprechend nüchtern fallen die Statements aus. «Die ganze Institution hat sich auf seine Arbeit verlassen. Alle grossen Solisten wollten nur wegen ihm dorthin kommen», sagt Henry Christopher Alik aus Estland. Das Problem sei die Machtfülle.
Eine andere Studentin, Delyana Lazarova aus Bulgarien, sagt, musikalisch habe Barenboim zwar auch ihre Generation beeinflusst. Seine altmodische Art, Autorität aufzubauen, lehne sie komplett ab.
Die italienische Dirigentin Nil Venditti schliesslich ist überzeugt: Mit Führungsfiguren wie Daniel Barenboim sei es bald vorbei: «In zehn oder zwanzig Jahren wird es nicht mehr so sein. Diese Generation wird aussterben und verschwinden.»
Die Zeiten haben sich geändert, das wird hier an der Hochschule der Künste klar.
Kompetenz und Leidenschaft
Viele Orchestermusikerinnen und Musiker seien selber Komponisten oder Dirigentinnen, sagt Venditti. Da könne man nicht einfach befehlen. «Wenn man 20 Jahre alt ist, muss man demütig sein. Ansonsten wird man vom Orchester fast getötet.»
Junge Dirigentinnen und Dirigenten sehen sich vor allem als Musiker, die gemeinsam mit anderen Musikerinnen etwas erarbeiten wollen. Dozent Johannes Schlaefli sagt, er fördere genau dieses Denken in seinem Unterricht: «Wir versuchen hier zu vermitteln, dass die Dirigentin oder der Dirigent einer von vielen ist, die mitmischen.» Die Kraft der Führung solle aus der Kompetenz und aus der Leidenschaft kommen.
Klingt schön und gut – und im geschützten Ausbildungsraum der Hochschule der Künste mag es auch funktionieren. Das Klassik-Business hat aber seine eigenen Gesetze. Das Publikum liebt Dirigenten, die sich als erhabene Halbgötter inszenieren.
Kann man sich dieser Dynamik überhaupt entziehen? «Ich glaube, es ist wichtig, dass junge Leute Berater haben, die ihnen die Bodenhaftung in den Momenten ermöglichen, in denen die Beschleunigung losgeht», sagt Schlaefli. Diese Dynamik könne sonst auch destruktive Elemente freisetzen.